"Ab sofort gehört der Weltraum 007!" – Mit diesem Slogan warben die Verleiher vor dreißig Jahren für den elften Film der James-Bond-Reihe. MOONRAKER wurde der ausgefallenste Beitrag der Reihe, weit entfernt von den knallharten Agententhrillern Ian Flemings, die auf der Leinwand mit Sean Connery als eiskaltem jedoch charmantem Killer die "Bondmania" der 1960er Jahre auslösten. In den 1970ern übernahm Fernsehstar Roger Moore die Rolle und spielte Bond mit traumwandlerischer Leichtigkeit als weltreisenden Frauenhelden, der immer eine anzügliche Bemerkung auf den Lippen und die passende Geheimwaffe im Gepäck hatte.
1977 war DER SPION, DER MICH LIEBTE der größte der bisherigen James-Bond-Filme: Roger Moore kurvte in einem weißen Lotus Esprit über die Straßen Sardiniens, ein hübsches Mädchen an der Seite, und es schien ihm gar nichts auszumachen, dass sie eine russische Spionin war und er darüber hinaus von motorisierten Bösewichten verfolgt wurde, die Raketen auf ihn abfeuerten. Denn hier war Bond in seinem Element: der weiße Lotus war seine Rüstung und enthielt ein paar passende Abwehrmechanismen, mit denen er jede Art von Angriff abwehren konnte. Notfalls konnte er damit ins Meer springen und den Wagen in ein U-Boot verwandeln. Am Ende von DER SPION, DER MICH LIEBTE wurde, wie damals üblich, gleich der nächste James-Bond-Film angekündigt: "James Bond will return in... For Your Eyes Only".
Liebesgrüße aus dem Weltraum
Jedoch war 1977 auch das Jahr, in dem ein anderer Film Furore machte: KRIEG DER STERNE (STAR WARS) löste Ende der Siebziger einen neuen Boom aus: effektgeladene Science-Fiction-Abenteuer, oder etwas weniger prosaisch ausgedrückt: Bumm-Bumm im Weltraum. Daher verschoben die Bond-Produzenten kurzerhand die Verwendung des Buchtitels "For Your Eyes Only" (1960) und holten stattdessen ein Buch hervor, das Ian Fleming bereits 1955 publiziert hatte und das von manchen Fans als bester Bond-Roman bezeichnet wird. Dieses Buch hatte den Titel: "Moonraker" (deutsch: Mondblitz) – und im Gegensatz zum Buch sollte James Bond im Film diesmal wirklich in den Weltraum geschossen werden. Die Filmposter zeigten Roger Moore in der üblichen Pose, Waffenarm über die Brust gelegt, jedoch mit einem Raumanzug über dem Smoking. Und der Plot handelte davon, wie der Industrielle Hugo Drax nicht einfach mit einer Rakete London zerstören, sondern gleich den Weltraum erobern und von dort aus die Erde neu besiedeln will. Da der Film mit französischen Geldern gefördert wurde, war Drax auch kein alter Nazi mehr, sondern ein waschechter Franzose, dargestellt von Michael Lonsdale, den viele (mit nacktem Arsch) aus Buñuels DAS GESPENST DER FREIHEIT kennen oder (als Abt) aus dem späteren DER NAME DER ROSE.
Eingefleischte 007-Fans witterten Verrat: Da wurde offenbar das beste Bond-Buch zu einem Weltraumspektakel für Kinder verwurschtelt. Und als sie den fertigen Film sahen, war ihr Urteil schnell gefällt: James Bond gehört nicht in den Weltraum, sondern auf die Erde! Der Film war von vorne bis hinten albern, und verkaufte sich darüber hinaus an die Werbung: Es gab sogar eine Szene, in der Bond in einem Krankenwagen nur deshalb eine kurvenreiche Straße entlangfährt, um Werbeplakate der Film-Sponsoren ins Bild zu setzen, die "zufällig" am Wegesrand stehen. Wenn in diesem Film in Großaufnahme eine geöffnete Schublade gezeigt wurde, dann befand sich darin garantiert auch eine Packung Marlboro. Und wenn zu Bond im Cowboy-Look das musikalische Thema der "glorreichen Sieben" eingespielt wurde, dann war auch das keine rein filmhistorische Anspielung: denn dieses Thema war den Kinozuschauern des Jahres 1979 vor allem als Thema der Marlboro-Werbespots vertraut, die vor dem Hauptfilm liefen – MOONRAKER gilt auch heute noch als besonders schamloses Beispiel von Product Placement im Spielfilm.
Der Spion, der zweimal lebte
Was die Kritiker übersehen, ist jedoch, dass, wenn man sich auf diesen Film einlässt, er nicht weniger ist als ein zauberhaftes Vergnügen, ein höchst amüsantes Spektakel, das gar nichts anderes sein will als eine zweistündige Ablenkung vom Alltagsleben, bei der wir unseren Lieblingshelden bei einer Schnitzeljagd um die ganze Welt begleiten und uns jederzeit sicher sind, dass er alles unter Kontrolle hat. Die Rettung der Welt ist bei James Bond in guten Händen, und wir haben das Vergnügen, ihm vom Kinosessel aus dabei zuzusehen. MOONRAKER zeigt einen Roger Moore, der sich die Bond-Rolle mit schlafwandlerischer Sicherheit völlig zu eigen gemacht hat, wundervolle Drehorte (Rio! Venedig! Amazonischer Regenwald!), phantastische Sets von Ken Adam, großartige Musik von John Barry und nicht zuletzt cleveren und witzigen Dialog. Da begleitet Bond den Bösewicht Drax auf Fasanenjagd. "Das ist so ein hübscher Sport", sagt Drax. Und Bond entgegnet: "Außer man ist ein Fasan." Und wie immer lauert die Gefahr gleich um die Ecke: Drax hat einen Scharfschützen angeheuert, der Bond aus sicherer Deckung abknallen soll. Bond ist völlig wehrlos. Wie wird er dem Attentat entgehen?
Mein Lieblingsbeispiel, das zeigt, wie die Albernheit von MOONRAKER funktioniert, ist die berühmte Gasmasken-Szene: Bond hat in Venedig ein geheimes Laboratorium ausgekundschaftet, in dem Drax bakteriologische Kampfstoffe herstellen lässt. Am nächsten Tag kreuzt Bond mit der italienischen Polizei dort auf, gleich mit dabei sind zwei seiner Vorgesetzten: der Chef des britischen Geheimdienstes "M" und der Verteidigungsminister Ihrer Majestät. Damit sie nicht in Gefahr geraten, legen die drei Männer Gasmasken an und betreten so das vermeintliche Kampfstoff-Laboratorium – nur um dort von einem indignierten Drax empfangen zu werden, der die gesamte Innenausstattung inzwischen gegen ein distinguiertes Renaissance-Interieur ausgetauscht hat. Zunächst einmal: Dies ist eine völlig lächerliche Situation. Warum sollten der britische Verteidigungsminister und Geheimdienstchef an so einem, noch dazu potenziell gefährlichen Einsatz auf ausländischem Boden teilnehmen, zu allem Überfluss in Gasmasken? Die Szene macht also inhaltlich überhaupt keinen Sinn. Aber: Was für eine wundervolle Szene! Sie macht filmlogisch Sinn. Denn sie erlaubt nicht nur Drax, die wahre Fülle seiner Macht zu zeigen (es ist ihm gelungen, das gesamte Laboratorium über Nacht verschwinden zu lassen), sondern durch diese Begegnung verfestigt sich auch die Feindschaft zwischen Drax und Bond, die im Verlauf des Films immer weiter ausgebaut wird: Bond ist Drax von Anfang an auf der Spur, doch wieder einmal gelingt es Drax, die Briten zu demütigen und sich über sie lustig zu machen: "Sie müssen mir verzeihen, Gentlemen. Ich bin kein Engländer, und es fällt mir manchmal schwer, ihrem etwas eigenartigen Sinn für Humor zu folgen."
Dabei hat der Film bei all seiner Albernheit auch erstaunlich dramatische Momente, angefangen mit der atemberaubenden Pre-Titel-Sequenz: James Bond wird ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gestoßen, wie wird er überleben? – bis hin zu der unheimlich-düsteren Szene, in der Corinne von Drax' Dobermännern angegriffen wird – und meiner Lieblingsszene des Films, in der Bond in einem Schwerkraftsimulator angeschnallt wird und hilflos zusehen muss, wie einer von Drax' Hintermännern die Geschwindigkeit der Zentrifuge immer mehr erhöht: Wie wird unser Held dieser tödlichen Falle entkommen? Besonders gelungen ist hier Bonds Reaktion, als er auch dieses Attentat mit Ach und Krach überlebt, taumelnd aus dem Simulator steigt und das Mädchen ihn am Ende stützen will: Bond ist diesmal wirklich schwer angeschlagen, und diesmal hat er keine spitze Bemerkung auf der Zunge. Dennoch weist er sanft die Hilfe des Mädchens zurück. Ein großer Moment, der gerade durch seine unerwartete "Stille" beeindruckt. MOONRAKER zeigt die zwei Gesichter des James Bond: den leichtherzigen Witzbold, der Mord und Totschlag am liebsten mit einem Lächeln und einer dummen Bemerkung quittiert, und einen Menschen, der sein Leben wirklich am Rande des Todes verbringt.
Der letzte große James-Bond-Film
Alles in allem ist MOONRAKER also nicht nur ein großes, jederzeit unterhaltsames Spektakel, sondern setzt auch einen eindrucksvollen Schlusspunkt unter die Bond-Reihe der Sechziger und Siebziger Jahre. Als 1981 der nächste Bond-Film herauskam – diesmal tatsächlich FOR YOUR EYES ONLY (deutsch: IN TÖDLICHER MISSION) – da ging es nicht mehr höher hinaus, und man führte einen dieser "Reboots" durch, die die Serie immer wieder neu definierten: diesmal nicht zu Beginn der Amtszeit eines neuen Hauptdarstellers, sondern inmitten der Amtszeit Roger Moores: Mit FOR YOUR EYES ONLY hieß es "wieder zurück auf die Erde", und irgendwie waren die Bond-Filme ab jetzt nichts Besonderes mehr, nur eine dumme Angewohnheit, die uns weiterhin, um Drax zu zitieren, "mit der ermüdenden Regelmäßigkeit einer ungeliebten Jahreszeit" präsentiert wurde: In den Achtzigern drehte Moore im Zweijahres-Rhythmus drei weitere Bond-Filme, wurde dann von Timothy Dalton ersetzt, der seinen Bond mehr an Flemings Buchvorlagen orientierte, in den Neunzigern gab Pierce Brosnan eine verjüngte Version des Geheimagenten, die zeigen sollte, dass 007 auch nach dem kalten Krieg als männliches Rollenbild taugte, und in den Nullern führte Daniel Craig den britischen Agenten als Actionstar in den Krieg gegen den Terror.
Aber irgendwie waren Bond-Filme nicht mehr das, was sie früher einmal waren. MOONRAKER hatte das Sakrileg begangen, den Helden am Ende des Films tatsächlich in den Weltraum zu schießen. Doch genau genommen war dies nur konsequent: Schon im ersten James-Bond-Film DR. NO war Sean Connery gegen einen überlebensgroßen Superschurken angetreten, der amerikanische Raketen aus Cap Canaveral vom Ziel ablenken wollte. Immer wieder bediente sich Bond der modernsten Technik des Zwanzigsten Jahrhunderts, und seine Gegner griffen immer mal wieder aus dem Weltraum an, z. B. mit einem Satelliten in DIAMANTENFIEBER oder gar einem Raumschiff in MAN LEBT NUR ZWEIMAL. Da war es nur konsequent, dass am Ende der Siebziger Jahre, als der erste Start eines amerikanischen Space Shuttles unmittelbar bevorstand, auch 007 tatsächlich in den Weltraum vorstieß. So war MOONRAKER letztendlich nichts anderes als der natürliche Schlusspunkt der Bond-Serie und nichts weniger als der letzte große Bond-Film.
filmhistoriker.de,
edited by olaf brill.
Last update (this page): 27 Nov 2009.
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