DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) VHS PAL, silent with musical score, b/w (tinted), approx. 74 mins, German intertitles, BMG Video, order no. 21363073, released 1996 |
Die auf dieser Videocassette veröffentlichte Caligari-Fassung ist die Farbrekonstruktion
des Bundesarchiv-Filmarchivs von 1984 (im folgenden: Bundesarchiv-Fassung), die
1994 von Arte im Fernsehen ausgestrahlt wurde (im folgenden: Arte-Fassung), also
die Fassung, mit der das Bundesarchiv die Tatsache ins Gedächtnis der Filmgeschichtsschreibung
zurückholte, daß Caligari wie die meisten Stummfilme ursprünglich
viragiert (eingefärbt) war.
Die Bundesarchiv-Fassung basiert auf zwei in den 1970er Jahren in London und Montevideo
wiederentdeckten viragierten Nitratkopien, wovon die uruguayische die Grundlage
der Farbgebung bildete:
Diese beiden unter Punkt 4 genannten Szenen sind die auffälligsten, am aufwendigsten
restaurierten Szenen. Während alle anderen Szenen des Films nur wechselnd
monochrom eingefärbt sind, wurden hier zwei Techniken kombiniert: die Oberfläche
des Filmstreifens wurde monochrom eingefärbt (hier braungelb), und das Schwarz
des Bildes chemisch viragiert (hier blau), so daß eine fluoreszierend fiebrige
Mischung aus schwarz und blau auf grüngelbem Grund entstand.
Diese besonderen Szenen sind auch ein Beispiel dafür, wie die Viragierung
Einfluß auf die Interpretation eines Films haben kann, was unmöglich
war in den Zeiten, als Stummfilm nur als schwarzweiß galt. Jetzt können
wir uns nämlich fragen: Warum erfahren gerade diese beiden Szenen eine Sonderbehandlung
in der Farbgebung? Eine mögliche Antwort: Die Farbgebung ist ein flackerndes
Warnzeichen. Sie verbindet die Eingangssequenz, in der Franzis die ganze Geschichte
erzählt, mit einer Szene innerhalb der Binnenhandlung, in der er etwas
erzählt, und weist somit noch einmal darauf hin, daß die ganze Geschichte
aus Franzis' Blickwinkel erzählt wird, eine Tatsache, die wir als Zuschauer
normalerweise vergessen. Wir neigen dazu, Franzis' Erzählung als Tatsachenbericht
aufzufassen, und erst am Ende wird der Blickwinkel der Binnenhandlung durch den
Schluß der Rahmenhandlung in Frage gestellt. Die Einfärbung legt hier
nahe, daß insbesondere Franzis' Darstellung von Alans Ermordung in Frage
zu stellen ist. War er es letztlich, der den Konkurrenten um die Ecke gebracht
hat?
Das Bildmaterial der Bundesarchiv-Fassung stammt aus
und ergab mit 1492 m Länge die bis dahin vollständigste Caligari-Fassung
(zum Vergleich: Uraufführungslänge 1780 m, Lumière-Fassung 1577
m). Besonders hinzuweisen ist auf die ursprünglichen expressionistisch gestalteten
Titel, die "die drei Maler" Hermann Warm, Walter Reimann und Walter
Röhrig für die Originalfassung im Stil des Films angefertigt hatten.
Diese Titel waren beim Export des Films und Übersetzung in andere Sprachen
verlorengegangen und wurden dann auch in Deutschland nicht mehr gezeigt. Sie waren
nur in der Schwarzweiß-Kopie der Kinemathek in Berlin vorhanden, und waren
vorher z.B. auch für die ZDF-Fernsehfassung von 1983 (schwarzweiß)
verwendet worden. Die Titel wurden von 16 mm auf 35 aufgeblasen und blau eingefärbt.
Leider ist auf Video dadurch die Schrift manchmal kaum lesbar, im Unterschied
etwa zur ZDF-Fassung und auch zu David Shepards englischer Bearbeitung (siehe
vorherige Besprechung).
Bei der Caligari-Uraufführung am 26. Februar 1920 im Marmorhaus in Berlin
wurde eine Mischung klassischer Musik von Beethoven, Schubert, Rossini, Bellini,
Donizetti und Paul Lincke gespielt, erst danach schrieb der Filmkomponist Giuseppe
Becce eine eigene Filmmusik, die jedoch nicht mehr erhalten ist. Jahrzehnte später
hat Becce einige Stücke aus seinem Repertoire als Beispiele für die
Caligari-Originalmusik bezeichnet. Davon ausgehend arrangierten Lothar Prox und
Emil Gerhardt eine neue Filmmusik, die bei der festlichen Premiere der Bundesarchiv-Fassung
am 11. Februar 1984 in Düsseldorf von Gerhardt am Klavier aufgeführt
wurde. Bei den 35. Internationalen Filmfestspielen Berlin 1985 wurde diese Fassung
vom Kammerorchester der Jungen Deutschen Philharmonie aufgeführt. Später
entstand eine ganz neue Musikfassung des Komponisten Rainer Viertlböck, der
zusammen mit zwei Rock- und zwei Jazzmusikern eine jazzige Variante mit Improvisationsanteilen
ablieferte. Unter dem Gruppennamen "besser frei" begleitete diese Gruppe
zum erstenmal am 03. Oktober 1990 in München den Caligari-Film. Eine ähnliche,
spätere Version derselben Musiker wurde für die Arte-Fassung verwendet
(ausgestrahlt am 01.06.1994), die identisch ist mit der vorliegenden Fassung von
BMG auf Video.
Warnung: Mir liegen drei Exemplare der BMG-Videocassette vor, von 1996,
1997 und 2000, alle mit derselben Hüllengestaltung und derselben Bestellnummer.
Die Cassette von 1996 enthält nicht die Bundesarchiv-Farbrekonstruktion,
sondern eine Schwarzweißfassung, die vom Bayerischen Rundfunk 1995 ausgestrahlt
wurde (BR-Fassung, genauso lang, mit expressionistischen Zwischentiteln und der
früheren "besser frei"-Version der Filmmusik). Ich nehme an, hier
wurde bei der ersten Auflage ein Fehler gemacht, und spätestens seit 1997
wurde nur noch die Bundesarchiv-Farbfassung vertrieben. Da jedoch nicht auszuschließen
ist, daß manche Händler noch Cassetten der ersten Auflage anbieten,
sollten Sie vor dem Kauf auf folgende Unterscheidungsmerkmale achten: 1. bei der
BR-Fassung steht auf der Rückseite der Hülle "Laufzeit: ca. 54
Min" (was übrigens falsch ist), sonst "Laufzeit: ca. 74 Min"
(was richtig ist), 2. wenn Sie die Hülle öffnen, steht auf dem Aufkleber
auf der Videocassette das Produktionsjahr: ist es 1996, könnte es sich um
die BR-Fassung handeln, bei anderen Angaben ist es wahrscheinlich die Bundesarchiv-Fassung.
Am besten dürfte es sein, Sie kaufen eine Videocassette aus dem aktuellen
Jahr.
filmhistoriker.de,
edited by olaf brill.
Last update (this page): 21 Jul 2004.
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