BLU-RAY & DVD REVIEW

DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920)
Blu-ray, DVD, Regional Code B, 2
77 Min. + Bonusmaterial

DE: Universum / Transit Classics
erschienen 27. Juni 2014
Blu-ray bei amazon.de bestellen
DVD bei amazon.de bestellen

GB: Eureka! / Masters of Cinema
erschienen 29. September 2014
Blu-ray & DVD bei amazon.co.uk bestellen


    Das Cabinet des Dr. Caligari

Wer hätte gedacht, dass vom CABINET DES DR. CALIGARI noch einmal eine definitive restaurierte Fassung herauskommen würde, die diesen berühmten Film so brillant zeigt, wie er vermutlich nur bei seiner Uraufführung im Jahr 1920 zu sehen war? Die Murnau-Stiftung, Hüterin des deutschen Film-Erbes, hat es in den Jahren 2012-14 mit finanzieller Unterstützung des Bertelsmann-Konzerns tatsächlich geschafft, eine solche Restaurierung anzufertigen, die in einer großen Gala-Premiere im Februar auf der Berlinale aufgeführt wurde. Dabei konnte ein Material herangezogen werden, das unglaublicherweise jahrzehntelang unbemerkt im Bundesarchiv-Filmarchiv lag: das Original-Kameranegativ des CALIGARI.

Jetzt liegt diese neue Fassung bereits auf DVD und – für CALIGARI erstmals überhaupt – auf Blu-ray vor. Vor drei Monaten in Deutschland erschienen und heute in der renommierten Masters-of-Cinema-Reihe des britischen Labels Eureka!, ist es diesmal sogar gelungen, einen großen deutschen Stummfilmklassiker zuerst im Inland auf den Heimkino-Markt zu bringen. Viele deutsche Filme sind überhaupt nur im Ausland erhältlich, sogar METROPOLIS war vor einigen Jahren zuerst in England und erst etwa ein Jahr später in Deutschland auf Disc erschienen.

Die deutsche Disc trägt das Etikett "Deluxe Edition", das suggeriert, es handle sich um eine besonders prächtig ausgestattete Ausgabe. Drauf ist der Film in hervorragender Qualität. Dankenswerterweise hat man sich auch entschlossen, eine neue Musikfassung einzuspielen und nicht etwa die Schiffströtenmusik zu verwenden, die bei der Premiere im Februar vom extra aus den USA eingeflogenen Avantgarde-Musiker John Zorn dahinimprovisiert wurde (drei Tage später auf Arte ausgestrahlt). Die neue Musik, die sich jetzt auf der Disc befindet, hergestellt von der Kompositionsklasse der Freiburger Musikhochschule unter Leitung von Cornelius Schwehr, ist ein Versuch, die verlorene Originalmusik von Giuseppe Becce nachzunahmen, wie die ZDF/Arte-Redakteurin Nina Goslar im Booklet zur Disc erläutert.

Das Bonusmaterial ist erheblich dürftiger ausgefallen als erwartet: Da finden sich zwei Hintergrundfilmchen zur Restaurierung, die Bertelsmann schon in HD im Netz veröffentlicht hat, hier. Außerdem ein 50-minütiger Dokumentarfilm von Rüdiger Suchsland, der schon auf Arte ausgestrahlt wurde und von dem Suchsland inzwischen eine wesentlich längere Version produziert hat, die auf dem Filmfestival Venedig gelaufen ist. Weitere Begleitmaterialien waren angekündigt (z.B. hier), haben es aber nicht auf die Disc geschafft. Von einer "Deluxe Edition" hätte man sich mehr erhofft.

Wie sieht im Vergleich die britische Veröffentlichung aus, die heute erscheint (dort als "Dual Format Edition" mit DVD + Blu-ray)? Zunächst enthält sie den kompletten Inhalt der deutschen Disc, plus zu- und abschaltbaren englischen Untertiteln (vorhanden sind also auch die Stummfilm-Zwischentitel in Originalsprache, wie bei Eureka! üblich). Zusätzlich gibt es einen Trailer zur Wiederaufführung der restaurierten Fassung in britischen Kinos und ein kurzes Filmchen von David Cairns, der zu CALIGARI-Filmausschnitten den Film interpretiert, und, obwohl er explizit darauf hinweist, dass vielen klassischen Quellen nicht vertraut werden kann, dem modernen Publikum doch auch wieder Legenden und Fehlauffassungen auftischt. "Hat jemand mal die Tageszeitungen aus dem Jahr 1913 geprüft?", fragt er anscheinend pfiffig, als er die Holstenwall-Legende referiert. Jawoll, das wurde gemacht. Man müsste halt nur die neuere Literatur zum Film kennen.

Das Bonus-Highlight der Eureka!-Disc ist freilich der Audiokommentar des Filmhistorikers David Kalat, der fachkundig über Geschichte und Interpretation des Films referiert. Es macht Spaß, Kalat zuzuhören. Der Text pappt jedoch (bis auf eine kleine Stelle am Ende) völlig unabhängig am parallel laufenden Film, sodass man den Vortrag besser als reines Tondokument wahrnimmt statt den Versuch zu machen, gleichzeitig den Film zu sehen. Auch Kalat ist sich bewusst, dass um die CALIGARI-Entstehungsgeschichte zahlreiche Legenden entstanden sind und stellt einige korrekt richtig. Doch auch er gibt gelegentlich Fakten falsch wieder, baut sogar Schlussfolgerungen darauf auf. So stammt das überlieferte Exemplar des Originaldrehbuchs nicht aus dem Besitz von Hermann Warm, sondern von Werner Krauß. Und die Geschichte, in der Hans Janowitz mit seiner Freundin zur Wahrsagerin geht, ist eine aus unsicherer Quelle übernommene, mit Spekulationen aufgebauschte Legende. Da sieht man, wie die CALIGARI-Geschichte immer noch dazu anregt, Klatschgeschichten zu erfinden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die englische Disc ist insgesamt schöner als die deutsche geraten, und Filmfans möchten sie vielleicht lieber den anderen Exemplaren der Masters-of-Cinema-Reihe in ihrem Regal hinzufügen. Wer vor allem den Film in der neuen Rekonstruktion in hervorragender Qualität sehen will, der ist mit beiden Discs gut bedient. Wer mehr über die CALIGARI-Geschichte erfahren will, der soll mein Buch lesen.

OLAF BRILL
29 Sep 2014
Hinweis: Im Booklet der deutschen DVD/Blu-ray bin ich mit einem kleinen Text vertreten.

Links:

Murnau-Stiftung: Caligari-Projekt
Olaf Brill: Der Caligari-Komplex

back to topback to top

filmhistoriker.de, edited by olaf brill.

Last update (this page): 29 Sep 2014.

The texts and images on this site are copyright © by the respective authors, except where otherwise noted. Mostly, the items were published by kind permission, but we were not able to find out all the copyright holders or their legal successors. If you know about them, please let us know, especially if there's anything wrong with publishing these texts or images. We do not intend to harm anyone's rights and thought we best serve the purpose of understanding film and general history displaying this source material and make it available for everyone.

If no author or source is noted, the texts are copyright © 1996-2014 Olaf Brill.

Impressum