Thomas Elsaesser: Metropolis Der Filmklassiker von Fritz Lang Hamburg: Europa Verlag 2001 135 pages, German text ISBN 3203841185 (English: Metropolis, BFI 2000, ISBN 0851707777) |
Seit Jahren publiziert das British Film Institute eine Reihe von Büchern
zu einzelnen Filmen, unter dem Titel "BFI Film Classics", mit dem Ziel,
Titel zu 360 herausragenden Filmen zu produzieren, die jeweils einmal im Jahr
im Londoner Filmmuseum aufgeführt werden sollen. Bereits erschienen sind
unter anderem Bände zu DAS CABINET DES DR. CALIGARI, BRIDE OF FRANKENSTEIN,
THINGS TO COME und THE WIZARD OF OZ (letzterer verfaßt von
Salman Rushdie). Thomas Elsaessers kürzlich erschienener Band zu METROPOLIS
ist meines Wissens der einzige Band dieser Reihe, der auch auf deutsch erschienen
ist, rechtzeitig zur Fritz-Lang-Retrospektive auf der Berlinale 2001.
Elsaessers Essay behandelt in moderner Sprache die METROPOLIS-Ursprünge,
-Entstehungsgeschichte und Geschichte der verschiedenen Kinofassungen und Restaurierungen,
und untersucht dann die unterschiedlichen Rezeptionshaltungen im Laufe der Zeit,
die zu ganz verschiedenen, immer wieder anderen Lesarten des Films geführt
haben.
Zunächst einmal gilt es, wie so oft in der Geschichtsschreibung des frühen
Films, Legendenbildung entgegenzutreten. So untersucht Elsaesser verschiedene
Mythen, die sich um Lang, die Ufa und METROPOLIS ranken, z.B. die Geschichte,
wie die Idee zum Film zustande kam: Im Oktober 1924 fuhren Lang und der Produzent
Erich Pommer nach New York zur US-Premiere von SIEGFRIEDS TOD, dem ersten
Teil von Langs NIBELUNGEN-Verfilmung. Vom Schiff aus sahen sie die Skyline
von Manhatten, und da hatte Lang "die erste Ahnung von einer Stadt der Zukunft."
(S. 11) Doch Elsaesser belegt durch verschiedene Quellen, daß Lang und Thea
von Harbou im Oktober 1924 schon lange über METROPOLIS nachgedacht
hatten: Pommer hatte das Projekt nach der deutschen Premiere von SIEGFRIEDS TOD angekündigt, und von Harbou hatte bereits einen ersten Entwurf verfaßt
und arbeitete am Drehbuch. Die Reise nach Amerika hatte dennoch eine entscheidende
Bedeutung für den Film METROPOLIS, so Elsaesser, denn dort wurde nicht
nur der Parufamet-Vertrag geschlossen (zw. Paramount, der Ufa und Metro-Goldwyn-Mayer),
sondern Lang und Pommer konnten auch zusehen, wie die amerikanische Filmindustrie
arbeitete. Pommer, der mit der Ufa auf dem amerikanischen Markt Fuß fassen
wollte, entschied sich, mit METROPOLIS nicht zu kleckern, sondern zu klotzen:
er gab Lang carte blanche, und so kam es zu dem ruinösen Budget, das
die Ufa später Langs Verschwendungssucht zuschrieb.
Der Hauptteil des Buches gilt den unterschiedlichen Blicken, die Zeitgenossen
auf den Film geworfen haben, in den unterschiedlichen Phasen seiner jetzt über
70jährigen Geschichte. So standen in den 1920er Jahren soziale Frage und
Technologie im Blickpunkt der Kritiker: "Hatte der Film etwas über die
Industrialisierung als Faktor zur Vermeidung von sozialer Unruhe auszusagen oder
verstärkte er lediglich den Klassenkampf? Würde die moderne Technologie
die Menschheit versklaven oder Fortschritt und Wohlstand für alle bringen?"
(S. 61) Der progressive H.G. Wells fand den Film albern, der Nazi-Autor Otto Kriegk
bolschewistisch, und der einflußreichste Kritiker der frühen Filmgeschichtsschreibung,
Siegfried Kracauer, protonationalsozialistisch. Die beeindruckendste Äußerung
zum Film gräbt Elsaesser in einem französischen Buch aus den 1960er
Jahren aus: ein Mann kommt 1943 ins Konzentrationslager Mauthausen, und als er
die Rampe emporsteigt und die zahllosen kahl rasierten Männer und Frauen
in Arbeitskleidung sieht, sagt er zu einem Mitgefangenen: "Connais-tu Metropolis?"
(Kennst du Metropolis?) (S. 73)
In den 1980er und 1990er Jahren wurde METROPOLIS zu einem Gegenstand der
Pop-Kultur, einem "Urtext der filmischen Postmoderne" (S. 7), mit der
Mega-City der Zukunft als Hauptprotagonisten (S. 85), dem Maria-Roboter als Ikone,
und seiner suggestiven Bildgewalt als Hintergrund für Pop-Videos von Queen,
Madonna und Pink Floyd. Einen "gebührenden Anteil" um die Wiederbelebung
von METROPOLIS (S. 8) spricht Elsaesser dem Komponisten und Filmproduzenten
Giorgio Moroder zu, der den Film in den 1980er Jahren wieder in die Kinos brachte,
eingefärbt, umgeschnitten und mit einem Pop-Soundtrack versehen: nicht mit
dem Anspruch einer originalgetreuen Rekonstruktion für Archivare und Historiker,
sondern einer kommerziell erfolgreichen Produktion für ein Massenpublikum
eben der 1980er Jahre. Heute ist dieser Film selbst ein zeitgeschichtliches Dokument,
das uns sowohl etwas über die 1980er Jahre als auch über Langs ursprünglichen
Film sagt. Elsaesser nennt Moroders Film einen "seltsame(n) Zwitter aus archivarischer
Rekonstruktion, sakrilegischer Pfuscherei an einem Kinoklassiker und ikonoklastischer
Pop-Moderne" (S. 54), gleichwohl ist Moroder so etwas wie der Rächer
Langs in den USA: denn METROPOLIS war in den USA nie ein großer Erfolg
und fiel Ende der 1920er Jahre wohl dem Wirbel um die Einführung des Tonfilms
zum Opfer. Elsaesser: "Erst in Moroders Fassung kam METROPOLIS endlich
in angemessener Form in die US-Kinos, 56 Jahre nach seiner Uraufführung."
(S. 53)
Elsaessers Buch ist wie alle Titel der BFI-Filmmonographien eine kenntnisreiche
und kompetente Einführung, auf dem neuesten Stand und mit einem ausführlichen
Literaturverzeichnis ausgestattet. Es eignet sich vor allem dafür, einen
schnellen Überblick über Entstehungs-, Produktions- und Rezeptionsgeschichte
zu bekommen.
filmhistoriker.de,
edited by olaf brill.
Last update (this page): 21 Jul 2004.
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