BOOK REVIEW

Rolf Giesen, Manfred Hobsch
Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg
Die Propagandafilme des Dritten Reiches
Dokumente und Materialien zum NS-Film

Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2005
501 pages, German text, many photos
ISBN 389602471X

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    Giesen, Hobsch: Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg

Abstract in English: Giesen's and Hobsch's big book about Nazi propaganda films is a missed opportunity. Neither does it present a coherent portrayal of NS cinema nor does it work as a reference book. Though it's featuring a lot of contemporary texts (e.g., from the NS film press), it fails to comment on them properly, and it even lacks such essentials as a film title and name index.

Der deutsche Film der Zeit von 1933-45 ist geprägt durch die totale staatliche Kontrolle und Gleichschaltung durch das NS-Regime. Goebbels und Konsorten machten die gesamte deutsche Filmproduktion, -distribution und -kritik zu Instrumenten faschistischer Propaganda. Ideologisch unliebsame oder jüdische Künstler -- die Protagonisten des Films der Weimarer Republik -- wurden mit Berufsverbot belegt, aus Deutschland vertrieben oder ermordet. Und alle deutschen Filme wurden dem Zweck unterworfen, die NS-Weltanschauung zu vermitteln und das Regime zu stabilisieren, nicht nur die im engeren Sinne als Propagandafilme zu identifizierenden Werke, die offensiv antisemitische Hetze, Geschichtsrevisionismus, Kriegsverherrlichung oder Führerkult betrieben. Wie die neuere Forschung herausgearbeitet hat, spielten gerade auch die vermeintlich unpolitischen Unterhaltungsfilme, die einen Großteil der NS-Filmproduktion ausmachten, eine wichtige Rolle in der NS-Filmpolitik: Sie dienten dazu, die schöne Normalität des Nationalsozialismus zu zeigen und subtil dessen Ideologie zu vermitteln.

Die großformatige, fünfhundert Seiten starke Materialsammlung, die Giesen und Hobsch vorlegen, ist nicht etwa eine Dokumentation der ganzen komplexen Geschichte des NS-Films, sondern nur ausgerechnet jener 10% direkter Propagandafilme, für die im Titel stellvertretend stehen: der frühe Nazi-Märtyrerfilm HITLERJUNGE QUEX (1933), der berüchtigte antisemitische Hetzfilm JUD SÜSS (1940) und der späte Durchhaltefilm KOLBERG (1945). Ein erstes Problem, das sich aus dieser Herangehensweise ergibt, ist offensichtlich: Dem über das Thema nicht bereits vorinformierten Leser könnte der Eindruck vermittelt werden, das Kino der Nazis bestand aus eben jenen 10% bösen Nazi-Filmen, und die vielen "unpolitischen" Unterhaltungsfilme der NS-Zeit wären harmlos. Zwar wird auch einmal ein Unterhaltungsfilm vorgestellt: die Rühmann-Komödie WENN WIR ALLE ENGEL WÄREN etwa (S. 128-132), nicht aber z.B. die ungleich bekanntere FEUERZANGENBOWLE, die beim Leser doch einen viel bedeutenderen Aha-Effekt hätte auslösen können: Aha, auch dieser weithin als zeitlose Komödie rezipierte und oft im Fernsehen gezeigte (und gerade neu auf DVD herausgekommene) Film war eingebunden in die Filmpolitik der Nazis. Statt handfeste filmhistorische Analyse zu sein, ist das Buch hier eine vergebene Chance.

Ein zweites Problem ist die Auswahl der Texte: Den Hauptteil des Buches nimmt eine nach Filmen chronologisch sortierte Materialsammlung ein, in der jeder Film mit filmografischen Daten, einer Inhaltsangabe, Auszügen aus Dokumenten und einem Kommentar der Autoren vorgestellt wird (S. 21-471). Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Großteil der zitierten Texte Machwerke der gleichgeschalteten NS-Filmkritik sind. Das Buch beschreibt also zu einem großen Teil den NS-Film aus NS-Sicht. Das ist nicht nur ein Problem dieses Buches, sondern ein allgemeines Problem der öffentlichen Dokumentation dieser Zeit. Im Filmportal etwa sind keinerlei zeitgenössische Filmkritiken der NS-Zeit wiedergegeben, um den Eindruck zu vermeiden, hier handele es sich um Meinungsäußerungen freier Filmkritiker, die den zeitlosen Wert eines Kunstwerkes verhandelten. Aus demselben Grund müssen auch Nazi-Prädikate ("Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll") deutlich als solche gekennzeichnet werden: Es sind Bewertungen von Filmen aus nationalsozialistischer Sicht. Gleichwohl haben Originaltexte aus der NS-Zeit natürlich dokumentarischen Wert. Wie soll man etwas über diese Zeit lernen, wenn man nicht lesen kann, was die Nazis geschrieben haben? Hier hätte sich das vorliegende Buch, sorgfältig kommentiert, als nützliches Nachschlagewerk erweisen können. Leider wird weder der Status von zeitgenössischen Texten angemessen kommentiert, noch die aktuelle Forschung adäquat wiedergegeben, noch zeichnen die ausgewählten Texte ein passendes Bild der NS-Filmkritik. Leicht hätte man z.B. zeigen können, wie der perfide Hetzfilm JUD SÜSS von den "Filmkritikern" der Nazis nicht nur dazu benutzt wurde, den vermeintlichen künstlerischen Triumph des deutschen Films hochzujubeln, sondern auch dazu, ihren eigenen Antisemitismus offen zur Schau zu tragen. Aber ausgerechnet in diesem Fall sind die wiedergegebenen Zitate zum Film verhältnismäßig harmlos oder brechen kurz vor den interessanten Stellen ab. Ein allgemeiner Mangel ist, dass zitierte Texte nur mit äußerst rudimentären Quellenangaben ausgestattet sind.

Dies führt zu einem dritten Problem des vorliegenden Buches: die Missachtung der Bedürfnisse potenzieller Nutzer. Von seiner Machart her ist es ein Handbuch, das dazu dienen sollte, schnell Texte und Informationen zu bestimmten Filmen nachzuschlagen. Aber wie soll man etwas darin finden? Ein bei so einem umfangreichen Nachschlagewerk dringend benötigtes Namens- und Filmtitel-Register fehlt komplett. Auch im Inhaltsverzeichnis findet sich keine Angabe der besprochenen Filme, und die Filme sind chronologisch sortiert. Wo soll ich also suchen, wenn ich, sagen wir, etwas über DER EWIGE JUDE erfahren will, aber nicht weiß, in welchem Jahr der Film gedreht wurde? Und wenn ich DER FÜHRER SCHENKT DEN JUDEN EINE STADT suche -- den das Leben im KZ glorifizierenden Film, den Kurt Gerron in Theresienstadt drehen musste, kurz bevor er nach Auschwitz deportiert und umgebracht wurde -- finde ich ihn, weil er ein Kurzfilm ist, erst auf S. 471 in der angehängten, thematisch sortierten Kurzfilm-Auswahlliste unter Punkt 21 "Antisemitismus".

"Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg" steht sehr in der Tradition Giesens früherer Witzbücher, in denen er sich darin gefiel, sich über Filme zu mokieren, die er nicht mag ("Kino, wie es keiner mag", 1984; "Die schlechtesten Filme aller Zeiten", 2002). Hier mokiert er sich einerseits nicht nur über die Nazi-Propagandafilme selbst, sondern auch über die "Hitler'sche TV-Fabrik eines Guido Knopp", der das deutsche Fernsehpublikum ununterbrochen mit Bildern aus der NS-Zeit fasziniert (S. 481). Andererseits betreiben Giesen und Hobsch aber durch die Publikation eines großformatigen Prachtbandes mit vielen Bildern in hervorragender Qualität auf schwerem Kunstdruckpapier und einem schneidigen SA-Mann auf dem Titelbild gerade selbst eine solche ästhetische Aufwertung der NS-Zeit, die sie Knopp vorwerfen.

Und schließlich: Ist der Buchtitel nicht umständlich und irreführend? Die pars-pro-toto-Funktion der drei Filmtitel ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen und man könnte auf die Idee kommen, es ginge nur um die drei erwähnten Filme. Hier hätte man sich besser an Giesens 2003 bei McFarland erschienenem Vorläufer "Nazi Propaganda Films" orientiert. Guido Knopp hätte wohl "Hitlers Filme" draus gemacht.

OLAF BRILL
13 Nov 2005

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filmhistoriker.de, edited by olaf brill.

Last update (this page): 13 Nov 2005.

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