NOSFERATU (1922) Regional Code 2, silent with musical score, b/w (tinted), approx. 89 mins, English intertitles, bfi Video Publishing, order no. BFIVD520, released 21 Jan 2002 |
Abstract in English: The BFI's new NOSFERATU DVD presents the Project Lumière's 1995 restoration, with music by James Bernard, and extras, including a written essay by film restorer Enno Patalas and a filmed essay by professor of cultural history Christopher Frayling. Even though some very good NOSFERATUS have previously been released on DVD, this is a definite must have for the silent film / horror fan.
Dies ist die neueste NOSFERATU- Rekonstruktion, hergestellt von den Filmmuseen München und Bologna im Rahmen des "Project Lumière", einer in den 1990er Jahren groß angelegten Anstrengung der europäischen Filmarchive, Material der verschiedenen Archive zu sichten und zu identifizieren, verlorene Filme wiederzufinden und Vorhandenes durch Neues zu ergänzen. Im Rahmen dieses Projekts ist z.B. ein Fragment von SATANAS (1920) gefunden worden, und es sind neue Rekonstruktionen angefertigt worden von z.B. DAS INDISCHE GRABMAL (1921) und DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920). Und NOSFERATU! Die neue Rekonstruktion wurde sorgfältig aus allem bekannten Material zusammengesetzt, viele einzelne Stücke aus Murnaus Film sind so auf z.T. abenteuerlichen Umwegen quer durch die Filmarchive der Welt wieder zusammengekommen. Grundlage war die in den 1980er Jahren unter der Leitung von Enno Patalas entstandene Rekonstruktion des Münchner Filmmuseums, wichtige Bestandteile waren eine neu entdeckte französische Nitrokopie, die Kopie des Staatlichen Filmarchivs der DDR und die deutsche "Ton"fassung DIE ZWÖLFTE STUNDE aus dem Jahr 1930. Natürlich ist die Original-Einfärbung des Films wieder hergestellt (denn es macht in Schwarzweiß-Kopien des Films natürlich keinen Sinn, daß der Vampir, der im Sonnenlicht sterben muß, in vielen Szenen am hellichten Tag herumspaziert -- diese bei Tage aufgenommenen Szenen waren 1922 blau eingefärbt, spielten also nachts), und natürlich sind Albin Graus stilechte Zwischentitel rekonstruiert worden (Briefe, Tage- und Logbucheinträge, Dokumente, Buchseiten). Der Film hat seinem Alter gemäß viele Kratzer und auch fehlende Einzelbilder in laufenden Einstellungen (die z.T. in anderen Versionen nicht fehlen, z.B. Hutter steht vom Schreibtisch auf, als Knock ihn ruft, etwa bei Min. 6, vgl. dieselbe Stelle auf der Eureka-DVD), ist aber insgesamt die vollständigste Fassung von NOSFERATU, die wir kennen, und brillant anzusehen.
Das British Film Institute bringt diese neueste Rekonstruktion jetzt auf DVD und Video heraus (fertiggestellt mitsamt Musik schon 1997); meines Wissens ist es das erste Mal, daß eine der "Project Lumière"-Rekonstruktionen käuflich zu erwerben ist und man nicht zu Filmfestivals nach Italien oder Spanien fahren muß, um sie zu sehen zu bekommen. Bin ich zu gierig, wenn ich eine freundliche Bitte äußere? Wir wollen mehr aus den Schatzkammern der Filmarchive sehen! Filme sind gedreht worden, damit man sie sieht, und stellt euch nur mal vor, was für ein Fortschritt es für die Filmwissenschaft wäre, wenn jeder Student die DVD- oder Videofassungen dieser Filme beliebig lange zu Hause erforschen könnte, statt auf die wenigen Stunden angewiesen zu sein, die er sie in Filmarchiven sichten kann! Wenn wir heute DIE SPINNEN oder DIE VAMPIRE sehen wollen, müssen wir auf amerikanische DVDs zurückgreifen; NOSFERATU und die für nächstes Jahr angekündigte METROPOLIS-DVD zeigen, daß es auch in Europa möglich ist, die neuesten Fassungen unserer größten Filme herauszubringen -- aber warum nicht auch mal HARAKIRI oder PEST IN FLORENZ?
NOSFERATU ist bereits auf DVD erschienen, und zwar in schon sehr guten, gestochen scharfen und ebenfalls farbrekonstruierten Fassungen bei Image Entertainment (Regional Code 1, Special Edition 2001 mit vielen Extras, z.B. zwei Musikfassungen, Audio-Kommentar usw.) und Eureka Video (Regional Code 2). Die neue BFI-Fassung ist also nicht der Schwamm Wasser, der einem Verdurstenden Rettung bringt, sondern eher ein weiteres Glas von dem köstlichen Wein, von dem wir gerne noch einen Schluck nehmen. Diese Veröffentlichung zeigt, daß NOSFERATU inzwischen ein gut dokumentierter Film ist, zu dem wir auf reichhaltiges qualitätsvolles Material zurückgreifen können. Dazu gehören auch die Extras der DVD, allen voran ein gut gemachter Beitrag von Kulturgeschichts-Professor Sir Christopher Frayling (der auch Bücher über Clint Eastwood und Sergio Leone gemacht hat, und ein/e sehr gute/s Buch/Fernsehserie über das Horror-Genre: Alpträume -- Die Ursprünge des Horrors). In einem 24minütigen Filmchen beleuchtet er verschiedene Aspekte des Films NOSFERATU, vom "making of" bis zur Interpretation und zur Restaurierung. Die "Interview-Form" macht das Ganze locker und lebhaft (Frayling redet zu einem imaginären Interviewer links außerhalb des Bildes), angenehmer anzuhören als manch trockener Vortrag, den man sonst von Filmwissenschaftlern zu hören bekommt. Visuell werden Fraylings Aussagen illustriert etwa durch Ausschnitte aus dem Film, Albin Graus Skizzen, Fotos und Bilder, wenn er z.B. Verbindungen herstellt zwischen der Optik des Films und den Landschaftsbildern von Caspar David Friedrich oder dem berühmten Bild von Johann Heinrich Füssli "Der Nachtmahr" (1781, auf einer leblos dahingestreckten jungen Frau hockt ein Mahr und blickt uns an). Als weitere Extras gibt es kurze Texte von Film-Journalist Philip Kemp (über Murnau), Komponist James Bernard (über seine Arbeit an NOSFERATU, biografischer Abriß, Filmografie) und ein 5seitiger Essay von Enno Patalas "On the Way to NOSFERATU" zur Überlieferungsgeschichte und Rekonstruktion des Films (als pdf-Datei, die man auf seinen Computer laden oder ausdrucken kann).
Patalas bringt auch Licht in die Frage, wie die veränderten Figuren- und Ortsnamen in NOSFERATU gekommen sind: Urspung vieler später aufgeführter Kopien ist die zweite französische Fassung aus dem Jahr 1926 oder 1927. Diese Fassung, mit grob aus dem Deutschen übersetzten französischen Zwischentiteln, überlebte im Archiv der Cinémathèque Française, und eine Kopie davon wanderte 1947 ins Museum of Modern Art nach New York. Dabei wurden die Zwischentitel aus dem Französischen ins Englische übersetzt, und aus den Namen wurden, angelehnt an die erste amerikanische Fassung, die Namen aus Bram Stokers Roman Dracula: Nosferatu wurde zu Dracula, Hutter zu Jonathan Harker, Knock (Knox in der französischen Fassung) zu Renfield usw. Aus Wisborg wurde Bremen. Als diese Fassung später zurück nach Europa gelangte, zuerst ins National Film Archive in London, dann auch wieder nach Deutschland, blieben die veränderten Namen bestehen.
Patalas führt aus, daß bei der Präsentation von Stummfilmen nach dem II. Weltkrieg verschiedene Aspekte zunächst vernachlässigt wurden, die erst später wiederentdeckt wurden und Eingang in die neuen Rekonstruktionen fanden: 1. Farbe: in einer Zeit, als Filmliebhaber den Übergang vom Schwarzweiß- zum Farbfilm genauso schwer nahmen wie den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm zwanzig Jahre zuvor, sahen, liebten und bewahrten sie die überlieferten Schwarzweiß- und nicht die eingefärbten Nitrokopien von Stummfilmen, 2. Zwischentitel wurden gerne nicht etwa als gestalterisches Element und wichtiger Bestandteil des Filmtextes gesehen, sondern schnell herausgeschnibbelt und durch neue, einfache und in die Landessprache übersetzte Titel ersetzt, und 3. Musik: das einzige Element von Stummfilmen, das nicht auf dem Filmstreifen aufgezeichnet wurde, so daß jede Stummfilm-Aufführung eine Live-Komponente hat, die die Rezeption der Aufführungs- und nicht der Uraufführungszeit widerspiegelt. So auch hier. Das BFI hat für diese DVD-Veröffentlichung nicht auf Hans Erdmanns Originalmusik von 1922 zurückgegriffen, sondern eine ganz neue Partitur in Auftrag gegeben. Den Auftrag bekam der englische Komponist James Bernard, der die Musik für viele Hammer-Horrorfilme gemacht hat, einschließlich THE QUATERMASS EXPERIMENT (1955) und DRACULA (1958), dessen erste Partitur für einen Stummfilm dies war (1997), und eine seiner letzten Arbeiten: er starb im Juli 2001 im Alter von 75 Jahren.
Zusatz: Einem freundlichen Hinweis von Hans-Michael Bock verdanke ich die Information, dass die viragierte Bologna-Rekonstruktion schon vorher in Frankreich veröffentlicht worden ist, und zwar mit den deutschen Zwischentiteln (und englischen und französischen Untertiteln)!
filmhistoriker.de,
edited by olaf brill.
Last update (this page): 21 Jul 2004.
The texts and images on this site are copyright © by the respective authors,
except where otherwise noted. Mostly, the items were published by kind permission,
but we were not able to find out all the copyright holders or their legal successors.
If you know about them, please let us know, especially if there's anything wrong
with publishing these texts or images. We do not intend to harm anyone's rights
and thought we best serve the purpose of understanding film and general history
displaying this source material and make it available for everyone.
If no author or source is noted, the texts are copyright © 1996-2006 Olaf
Brill.
Impressum Datenschutz