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HAMLET -- EIN RACHEDRAMA |
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Directed by: | Svend Gade, Heinz Schall. |
Written by: | Erwin Gepard (from the Hamlet legend discovered by Dr. Edward P. Vining). |
Production company: | Art-Film G.m.b.H., Berlin. |
Photography: | Curt Courant, Axel Graatkjer. |
Set design: | Svend Gade (drafts), S. Wroblewsky. |
Costume design: | Hugo Baruch, Leopold Verch. |
Cast: | Asta Nielsen (Prince Hamlet), Eduard von Winterstein (King Claudius), Mathilde Brandt (Queen Gertrude), Heinz Stieda (Horatio), Hans Junkermann (Polonius), Lilly Jacobsson (Ophelia), Fritz Achterberg (Fortinbras), Anton de Verdier (Laërtes), Paul Conradi (ghost). |
Studio / Locations: | Jofa-Atelier, Berlin-Johannisthal. |
Première: | 27 Jan 1921, Schauburg, Hamburg, 09 Feb 1921, Mozartsaal, Berlin. |
Censorship data: | Berlin 1920 (no. 715), prologue and 6 acts, 2367 m, prohibited for children. |
Restoration data: | 2007: Deutsches Filmmuseum, Deutsches Filminstitut - DIF, Première 10 Feb 2007, IFF Berlin (Berlinale), TV: 21 Jul 2007, Arte, DVD: July 2011, Edition filmmuseum Review |
Hamlet is a woman! In this adaptation of the classical story, in a non-Shakespearean approach, Asta
Nielsen stars as Prince Hamlet, "a Sarah Bernhard of
film", as one contemporary critic wrote, "so boyish that in the meantime
one forgot that he was supposed to be a girl."
In 2005, a coloured 35mm print turned up in a private film archive in Germany. It's the only known version including the original German intertitles. It has seven different tintings/tonings and over 100 intertitles. Furthermore, it's a completely different cut, including a prelude preceding the traditional six acts. The original version was restored based on that print, shown at the Berlin film festival in 2007, and released on DVD in 2011, ninety years after the film's original premiere.
A.F.
Hamlet
Einer der Filme, von denen am meisten gesprochen worden ist und denen man deshalb
mit einer gewissen Spannung entgegensieht. Sie wird nicht enttäuscht. Hamlet
-- ein Weib? Dieser Versuch, das Rätsel des Dänenprinzen zu deuten,
ist an sich reizvoll und dichterisch stark genug, um die großen Züge
des Geschehens in der neuen Form des Films erstehen zu lassen. Ausdrücklich
sei betont, daß nirgends aufdringliche Gelehrsamkeit zutage tritt, abgesehen
von einem kurzen "Vorspann", der berühmte Männer mit ihren
Ansichten über Hamlet zeigt und als Vorankündigung gedacht ist.
Das ganze Spiel, das sich nun in fesselnden Bildern entrollt, heißt Asta
Nielsen. Ihr schlanker, jungenhafter Körper im eng anliegenden schwarzen
Wams, der melancholische Blick ihrer großen träumerischen Augen,
eine ganz ursprüngliche kleine Geberde zwischendurch: das alles wirkt zusammen,
um ihrem Hamlet von Anfang an tiefes menschliches Interesse zu sichern. Ganz
neue Möglichkeiten tun sich auf, nun dieser Prinz ein verkleidetes Weib
ist, das bei der Geburt von seiner Mutter als Prinz ausgegeben wurde, um den
Thron zu erhalten und nun sein Leben lang an dem Fluch dieser Lüge zu tragen
hat. Nach außen Mann, dem schöne Frauen sich lächelnd nahen,
im Herzen tiefste Weibessehnsucht nach dem Freunde, der erst an dem Toten das
Geheimnis entdeckt und über der Leiche in jäher Erkenntnis zusammenbricht.
Um diese erschütternde Gestalt gruppieren sich eine Anzahl ausgezeichneter
Darsteller. E. v. Winterstein gibt dem verbrecherischen Oheim, der dem Bruder
Thron und Weib geraubt, die Wucht des Bösen und den Zwiespalt argwöhnischen
Mißtrauens. Heinz Stieda als Freund Hamlets in frischer Lebendigkeit.
Lilly Jacobssons Ophelia umkränzt die schwellende Fülle des Weibes
mit mädchenhaftem Liebreiz. Der Polonius Hans Junkermanns etwas stark auf
das Läppische eingestellt. Paul Conradi als Hamlets Vater -- den der Film
in feiner Erkenntnis seiner Grenzen nicht als Geist erscheinen läßt
-- Mathilde Brandt als Königin, Anton de Verdier als Ophelias Bruder und
Fritz Achterberg als König von Norwegen vervollständigen das Bild.
Die Bearbeitung der Sage durch Erwin Gepard paßte sich aufs glücklichste
den Forderungen der Filmkunst an. Svend Gade und Heinz Schall bemühten
sich um sorgfältige und saubere Regie und stellten das Ganze in einen ungewöhnlichen,
reichen Rahmen. So entstehen Bilder von großer Schönheit, wie der
träumende Prinz am Fenster, das Herabschreiten Hamlets auf der großen
Treppe zum Bankettsaal mit dem weit nachschleppenden schwarzen Mantel, die lauernde
Zwiesprache zwischen dem anscheinend wahnsinnigen Prinzen und dem König
auf der Treppe vor dem Palast, die Opheliaszenen im Garten und Bogengang usw.
Die Photographie, für die Curt Courant und Axel Graatkjer verantwortlich
zeichnen, ist namentlich bei den Großaufnahmen von prachtvoller Weichheit
im Ton. Die ausgezeichneten Bauten schuf S. Wroblewsky im Jofa-Atelier.
L.K.F.
Hamlet
Im Mozartsaal gab es eine Ueberraschung: der "Hamlet" der Asta Nielsen ist eine Leistung. Das Wagnis konnte leicht verhängnisvoll werden. Daß es das nicht wurde, ist dem Spiel und der Fundamentierung der Idee zu danken. Shakespeares Hamlet ist ein Mann von etwa dreißig Jahren, ein Phantast, ein Träumer, ein Idealist von starkem Intellekt und geringer Tatkraft, eine problematische Natur. Der Hamlet der Nielsen ist -- ein Weib! Ein Weib, das weiß, daß es ein Weib ist, das alle Vorzüge und Schwächen des Weibes besitzt; das als Mädchen die Knabentrikots über die schlanken Beine streifen muß, um den Thron zu retten; das schließlich liebt. Shakespeares Hamlet tut alles, um nicht zu tun, was der Geist des gemordeten Vaters ihm befohlen hat; der Hamlet der Nielsen ist Rächerin, auch wenn einmal Hamletsches Verzagen dieses Weib in Männerkleidern überkommt. Der Gedanke der Rache [p. 47:] spricht aus der ersten Szene und endet mit der letzten. Dabei ist aber die psychologische Fundamentierung hier sehr viel breiter, vielleicht weniger interessant und einfacher, ersichtlicher, aber filmgerecht. Die Kunst des Bühnenwerks bleibt stets die Dichtung, die Kunst des Films ist die Handlung und das Spiel. Beides steht hier auf hoher Stufe: Die Nielsen ist die große Schauspielerin, die ihre reichen Mittel aus der Tiefe ihrer Seele schöpft. Neben ihr Eduard von Winterstein, ein brutaler, finster-harter und doch von dunklen Ahnungen gepeinigter Claudius, Heinz Stieda ein männlich-offener Horatio, Hans Junkermann ein etwas bühnen-schematischer Polonius. Fritz Achterberg ein kraftvoller Fortinbras und die blonde Dänin Lilli Jacobson eine reizende, etwas robuste Ophelia. Prachtvolle Bauten und prachtvolle Bilder... schwertklirrende Romantik, nordgermanische Rittertümlichkeit. Erdgeruch und Blutdunst über den grauen Gemäuern, nordischer Heidenebel über dem Heerbann Fortinbras'. Wo sind die Dänenrecken? fragt man Svend Gade und Heinz Schall, die die Regie geführt haben. Das Werk wird umstritten werden, aber es verdient, beachtet und betrachtet zu werden.
Anonymous
Hamlet
"Hamlet". Drama in einem Vorspiel und sechs Akten, nach der von Professor
Vining aufgefundenen alten Hamletsage bearbeitet von Erwin Gepard. Regie: Svend
Gade und Heinz Schall. Photographie: Curt Courant und Axel Graatkjer. Dekorationen
nach Entwürfen von Svend Gade. Fabrikat Art-Film. (Mozartsaal.)
Es ist bezeichnend, daß dieser Hamlet-Film schon lange vor seiner Uraufführung
viel umstritten wurde. Man hat von Shakespeare-Fälschung geschrien und
von der Gegenseite protestiert. Wenn man den Film gesehen hat, muß man
konstatieren, daß die Proteste gerechtfertigt waren. Wohl schöpfen
beide Werke, der Film wie das Bühnendrama, aus der gleichen Quelle, entlehnt
der Film manche Szene vom Theater, ist aber in seiner ganzen Anlage und Ausgestaltung,
die manches Neue und Schöne hinzufügt, grundverschieden von der Auffassung
des großen Briten. Während Shakespeare aus seinem Hamlet einen Grübler
und Philosophen macht, fügt der Film zu dem auch hier den Hintergrund bildenden
Königsdrama vom verbrecherischen Oheim und der buhlenden Mutter einen neuen
Konflikt. Auf die Urquelle der Hamletsage zurückgreifend, wie sie von dem
amerikanischen Literaturforscher Professor Vining aufgefunden wurde, betont
der Film neben dem psychischen noch den physischen Konflikt, der sich daraus
ergibt, daß der Dänenprinz jener Sage nach ein Mädchen gewesen
sein soll. Das kompliziert die Geschichte und gibt ihr eine überraschende
Wendung.
Schuld an dem Unheil hat die Königin Gertrude, die, während der König
im Felde gegen die Norweger steht, einem Mädchen das Leben schenkt und
auf das Gerücht vom Tode des Königs das Kind als Knaben ausgibt, um
ihm den Thron zu erhalten. Als der König unerwartet heil aus dem Feldzug
heimkehrt, muß er sich in den Betrug fügen, um das Prestige beim
Volke nicht einzubüßen. Die Handlung wickelt sich dann zunächst
ähnlich dem Drama ab, der Oheim vergiftet den König durch einen Schlangenbiß
und reißt den Thron mitsamt der Königin an sich. Der von der Hohen
Schule in Wittenberg heimkehrende Hamlet ahnt den Hergang und stellt sich irrsinnig,
um dem Geheimnis besser nachforschen zu können. Nur sein Freund Horatio
ist eingeweiht. Um Hamlet zu zerstreuen, sucht man ihn für Ophelia, die
schöne Tochter des Kämmerers Polonius, zu interessieren. Hamlet geht
scheinbar darauf ein, in Wirklichkeit liebt er seinen Freund Horatio, was ihm
erst zum Bewußtsein kommt, als er merkt, daß Horatio Ophelia liebt.
Durch eine wandernde Komödiantentruppe, die er den Königsmord darstellen
läßt, verschafft sich Hamlet Gewißheit über die Täterschaft
des Oheims. Bei der nachfolgenden Szene mit der Mutter ersticht er den hinter
dem Vorhang lauschenden Polonius. Der Oheim Claudius erkennt, daß der
Stoß ihm galt und versucht, sich Hamlets zu entledigen. Mit zwei Begleitern
schickt er ihn zu dem lehnspflichtigen König Fartinbras von Norwegen, dem
er befiehlt, Hamlet zu enthaupten. Fartinbras, sein Freund aus der Wittenberger
Zeit, schließt aber neue Freundschaft mit Hamlet und beschließt,
ihm zu helfen. Mit einem starken Heer zieht er nach Dänemark. Hamlet findet
den Oheim in fröhlicher Zechgenossenschaft, macht den Entsetzten völlig
betrunken und läßt ihn durch Feuer umkommen. Am Grabe Ophelias, die
sich aus Gram ertränkte, fordert ihn ihr Bruder Laërtes zum Zweikampf.
Seine eigene Mutter vergiftet die Degenspitze, die ihm den Tod bringt. Sie selbst
ergreift aus Versehen den Giftbecher. Gerührt erkennt Horatio an der Leiche
des Freundes, daß Hamlet ein Mädchen war. Der zu spät mit seinem
Heer eintreffende Fartinbras kann den Freund nur noch ehrenvoll zu Grabe tragen.
Der stark vom Drama abweichende Schluß gibt Gelegenheit zu imposanten
Bildern, wie überhaupt die Regie äußerst eindrucksvolle Szenen
geschaffen hat: Das Festmahl bei der Hochzeit des Königs in der weiten
Halle, die Schule in Wittenberg, die Ankunft bei Fartinbras. Auch im Architektonischen
und Landschaftlichen wird außerordentlich Schönes geboten, unterstützt
durch saubere, klare Photographie.
Asta Nielsen war die einzige, die den Dänenprinzen spielen konnte und sie
spielt ihn hervorragend, eine Sarah Bernhard des Films (der sie in Kostüm
und Geste ähnelte), spielt ihn so jünglingshaft, daß man darüber
vergaß, daß er eigentlich ein Mädchen sein soll. Wenn man trotzdem
manchmal sich des Gefühles nicht erwehren konnte, daß das gesprochene
Wort fehlte, so mag das zum großen Teil am Manuskript liegen, das ängstlich
jeden Anklang an Shakespeare mied und reichlich triviale Zwischentexte gab.
Ueberdies scheint der Film stark beschnitten und wirkt in der konzentrierten
Aufeinanderfolge der Ereignisse etwas überstürzt. Aber er bringt Szenen
von starker Wirkung und wird immerhin ein interessantes Experiment bleiben.
Neben Asta Nielsen stehen Namen von bewährtem Klang: Eduard von Winterstein
(König Claudius), Mathilde Brandt (Königin Gertrude), Heinz Stieda
(Horatio), Hans Junkermann (ein bißchen reichlich trottelhaft als Polonius),
Lilly Jacobsson (Ophelia), Fritz Achterberg (Fortinbras) und Anton de Verdier
als Laërtes.
Vr.
Hamlet
Selten ist wohl ein Film mit soviel Spannung erwartet worden, wie der Hamlet-Film der Asta Nielsen. Monatelang beschäftigten sich Fach- und Tagespresse damit. Endlich kommt die Erlösung. Zuerst eine Einleitung oder besser Erläuterung dieses Hamlets, den Asta Nielsen spielt. Gelehrte Forscher der Hamletsage ziehen am Auge vorüber, als letzter ein Amerikaner, der in Hamlet ein Weib sieht. -- Asta Nielsen verkörpert ihn, gibt ihm Gestalt, Leben. Freud und Leid. -- Wie groß steht diese Asta über ihren Mitspielern, denen zum Teil wirksames Ausspielen die Rolle vorschreibt, doch wie verblassen sie, wie z.B. Winterstein als Claudius, der seine Persönlichkeit erst zum Schluß wiederfand. Der Spion des Hofes, Polonius, Hans Junkermann trägt kräftiger auf. Heinz Stieda als Freund und heimlicher Geliebter des Hamlet schuf eine Figur, jedoch nur eine solche, ohne nachhallende Wirksamkeit. Lilly Jacobsson als Polonius' Tochter Ophelia war schwach. -- Erwähnenswert erscheinen mir aber der Laertes -- Anton de Verdier und Fortinbras -- Fritz Achterberg. -- Die Regie Svend Gades hat viel gute Arbeit geleistet, aber auch einige Schwächen, die hätten vermieden werden können. Photographisch ist der Film einwandfrei von Curt Courant und Axel Graatker aufgenommen worden.
Martin Proskauer
Hamlet -- nicht von Shakespeare!
Ich war gestern vier Stunden im Johannisthaler Atelier und habe zugesehen, wie Asta Nielsen spielt. Das war ein großer künstlerischer Genuß, und ein ganz seltener noch dazu, denn noch nie habe ich eine Filmdarstellerin so spielen sehen. Seit langem schon halte ich Asta Nielsen für unsern ersten Filmstern, und diese Meinung hat sich gestern von neuem bestätigt. Ich glaube fast, daß der Film alle Feinheiten, das leise Zucken des Mundes, das Flattern der hochgeworfenen Hände nicht so wiedergeben kann, wie es meine Augen sahen. Kann es der Film doch, so wird er bestimmt ein großer Erfolg, schon weil die Nielsen darin spielt.
Sie ist Hamlet, Prinz von Dänemark. Soviel man aus den wirr einander folgenden Szenen entnehmen kann, ist im Filmmanuskript eine starke Anlehnung an Shakespeares Hamlet sichtbar. Die Herren vom Art-Film sagen, daß ihr Manuskript auf alten Hamletsagen beruht -- sicherlich ist es ihnen unverwehrt, an die Quelle zu gehen, aus der Shakespeare schöpfte; und wenn der Film fertig ist und gut ist, braucht niemand über Sakrileg zu schreien. Wer etwas kann, begeht keine Tempelschändung. Und die Nielsen kann, kann unglaublich viel. Eine ernsthafte Frage: hat noch kein Bühnenleiter Berlins versucht, diese Frau für sein Theater einzufangen?
Ich sah die Szene des jungen Prinzen Hamlet in der Schule. Die Schulgefährten kommen, gehen an ihre Plätze, teils brav spielend, teils im Statisten-Übereifer zu derb auftragend. Dann kommt die Nielsen. Ganz in schwarz, die schlanken Beine im glatten Trikot, ein kleines Mäntelchen über den Schultern hängend, springt sie in ihren Platz. Sie schlendert einen Schritt, wirft die Bücher hin -- sie ist ein unerhört schlanker Knabe, ein ganz junger, sorgenloser, froher Mensch.
Ich stehe dabei, eingequetscht zwischen den Jupiterlampen, und bin ganz vom Spiel dieses Knaben-Prinzen eingefangen. Asta Nielsen legt ein Bein übers andere, gelangweilt hängt ihre Hand über die Knie -- so und nur so sieht ein Prinz aus, der nicht lernen mag.
Der Magister ist fort, die Schüler toben. Prinz Asta springt ans Katheder, steckt übermütig die Gänsefeder vom Schreibgerät in das schwarze Haar und spielt Magister.
Ich glaube, ein sehr kritisch und negierend anspruchsvoller Mensch zu sein, und ich gestehe, daß ich in jedem Augenblick entzückt und hingerissen war.
Die nächste Szene. Der Gesandte bringt in die tobende Jünglingsschar die Botschaft vom Tode des Vaters an Hamlet. Asta Nielsen öffnet das Pergament, erbleicht (erblichte sie nicht? Ich könnte schwören, daß sie erbleichte), taumelt und verzerrt den Mund in wortesuchender Qual.
Asta Nielsen ist nicht schön, nicht hübsch. Sie weiß es sicher selbst. Aber als sie diese Szene spielte (vielleicht fünf Meter Film), den jäh in Trauer gestürzten Knaben, da sah ich plötzlich zur Seite, wo zwei Damen zuschauend standen. Und die Damen weinten. -- --
Was an Frau Asta Nielsen so reizvoll ist, kann man schwer sagen. Sie ist überschlank, es tat mir leid, sie mit Eisenhelm und schwerem Schwert stehen zu sehen, sie ist ganz schmucklos schwarz, sie agiert nicht, sie spricht nur, wenn sie muß -- und doch gehört die Szene ihr, wenn sie spielt -- nicht nur, weil sie der Filmstern ist, nein, weil sie die größte Könnerin ist. Diese Frau könnte spielen, was sie wollte, es würde lohnen, hinzugehen.
Mir fällt ein, daß ich sie vor Jahren in einem Lustspiel sah, "Das Eskimobaby". Da war sie ein aus Eismeergegenden in die Kultur geratenes Eskimofräulein. Das war so lustig, so voller Pointen, und graziösen Witzes -- nicht das Stück, das war schwach -- aber ihr Spiel.
Ich erinnere Frau Nielsen daran. "Ja", sagt sie, "ich weiß wohl. Ich habe mit viel Vergnügen gespielt, denn es macht mir Spaß, etwas Lustiges zu spielen. Ich würde es auch jetzt gern spielen, aber es lohnt der Mühe nicht."
Beim Plaudern betrachte ich sie in der Nähe. Das Gesicht dieser Frau ist charaktervoll in jedem Zug. Dies Augen leben, dieser Mund gehorcht im Ausdruck wie ein edles Tier dem, der es meistert. Und die Hände. Ich habe mit Frau Nielsen nicht darüber gesprochen, aber sie weiß sicherlich, daß beim Spiel (noch dazu beim stummen) die Hände den halben Ausdruck und mehr ersetzen. Die Hände dieser Frau sprechen für sich und für sie: kräftig, schlank, in jeder Sehne ausgearbeitet, mit gut angesetzten geraden Fingern, sind sie wie ein wundervolles Instrument. Dabei sind die Hände von Nervosität durchbebt, der eigenen Kraft bewußt. -- --
Eine neue Szene ist bis zur Probe fertig. Frau Nielsen geht zum Umkleiden, man probt ohne sie. Sie probt nicht mit; nur einmal arbeitet sie, mehr für den Regisseur und die Mitspieler als für sich, die Rolle des Augenblicks durch, das genügt.
[p. 2:] Svend Gade, Asta Nielsens Landsmann, leitet die Aufnahmen mit einer unerhörten Ruhe. Kein Schreien, kein lautes Wort, kein Hetzen. Von ihm sind auch die dekorativen Bauten, die soviel ich sah, an Geschmack, Solidität und Stilreinheit hohe Qualität darstellen.
Ringsum klopft und hämmert es. Die sonderbare halbwirkliche Welt des Films ist um uns aufgestiegen. Hier steht ein Thronsessel und ein Stück Saal, der bis hinten hin ins Freie führt. Nein -- das ist ja ein Riesenhimmel aus blauer Leinwand. Das Freie steht ein Güterzug, liegen Bretter, knattert ein Doppeldecker durch die Luft.
Ich wende mich in die entgegengesetzte Richtung -- da steht eine Säule, halb nur schwingt sich ein Bogengewölbe von ihr, wo das Filmobjektiv nicht hinreicht, hört der Zauber auf. Dahinter steht die Prinzenschule, sehr echt in Bau und Farbe. Da sitzt die Statisterie und erhöht im Moment mit ihren Trachten das Gespenstige der jähen Echtheit.
Zu mir tritt Herr Wingard, Asta Nielsens Gatte und Inhaber des "Art-Films" und sagt:
"Man sollte eigentlich nicht fremde Augen in das Werden des Films hineinsehen lassen. Es gibt ein falsches Bild, läßt vielleicht Dinge wichtig erscheinen, die im Filmspiel nebensächlich sind, und verlegt das Ganze vom künstlerischen Standpunkt auf eine Art Sensation außerhalb des eigentlichen Zieles."
Herr Wingard hat recht. Im allgemeinen sollte man nicht zusehen, wenn Lissy-Pussy oder Fredy Meierini ihrem Filmtalent freie Bahn lassen, aber hier ist es etwas anderes. Hier ist ein Mensch, der von heißem Betätigungsdrang erfüllt ist, der ein ganz großer Könner in seinem Reich ist, am Werk; hier kann man fast körperlich die Hand an die feinsten Wurzeln dessen legen, was wirklich Kunst im Film ist. Hier kann man froh sein, wenn man zusieht.
Und jetzt, Frau Nielsen, vestehe ich auch, warum Sie nicht leiden mögen, wenn allzuviel Volk zuschaut. Sie schaffen jäh, spontan in der Rolle sich entflammend, Stück für Stück das ganze Spiel, Sie sind jedesmal mit allen Nerven der Mensch, den die Rolle will. Sie geben sich jedesmal von neuem aus -- es ist ein Bloßheitsempfinden und eine künstlerische Scham.
Und diese ehrt Sie ebenso wie Ihr großes Können Sie über die andern erhebt.
Ich bin noch nie so begierig gewesen, einen Film zu sehen, wie diesen "Hamlet", von dem Shakespeare nichts weiß.
In den von Art-Film belegten Riesenateliers der "Jofa" herrscht zur Zeit Hochbetrieb. Die Aufnahmen zu dem großen Asta Nielsen-Film "Hamlet" sind in vollem Gange. Die bisher von strahlender Sonne begünstigten Aufnahmen sind äußerst gelungen und entzücken durch ihre plastische Schönheit und vollendete Tiefenwirkung alle Fachleute. Svend Gades Bauten holen durch ihre monumentale Stilisierung die letzten malerischen Wirkungen jedes Bildes heraus, sodaß jede Szene schon in der Ausstattung zum Kunstwerk gestempelt wird. Neben Svend Gade ist der Regisseur Heinz Schall tätig. Dieser interessante Film wird von den Operateuren Axel Graatkjer und Curt Courant gedreht.
Film und Presse (Berlin) vol. 1, no. 4, 30 Jul 1920, p. 83.Hamlet
Noch nie ist um einen Film ein solcher Streit entbrannt, wie um "Hamlet". Als die erste Nachricht bekannt wurde, daß man "Hamlet" im Film bringen will, daß Asta Nielsen die Hauptrolle, den Prinzen Hamlet spielen will -- da gab es ein Streiten und Disputieren überall in der Presse, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Dabei ging der Kampf aber nur um die Idee. Daß Asta Nielsen diese Rolle verkörpern wollte, mochte auch der böseste Kino-Gegner nicht als Anstoß betrachten. Diese stillschweigende Anerkennung aller Kreise ist eigentlich ein Lob, das mehr wiegt als laute Zustimmung. Eine Meinung zu äußern, ist das Recht jedes denkenden Menschen; freilich wußten die, deren Zorn gegen eine gefürchtete Shakespeare-Verfilmung gar so hoch loderte, nicht, daß dieser Film "Hamlet" ein ganz selbständiges, Shakespearesches Genie nicht antastendes Werk ist -- aufgebaut auf der alten, von dem amerikanischen Literaturforscher Prof. Vining gefundenen Hamletsage.
Und aus dem Rahmen dieser uralten Geschichte, aus dem rauhen und leidenschaftlichen Leben des frühen Mittelalters tritt uns Asta Nielsen, die unerreichte, die einzige Filmschauspielerin von internationaler Klasse, auf der Höhe ihrer Kunst entgegen.
Dieser neue große Asta Nielsen-Film "Hamlet" gibt uns die Tragödie einer Frau. -- Hamlet, der Dänenprinz, ist ein Weib. Um den Thron zu retten, hat die Königin in der Stunde der Not das eben geborene Mägdlein als Knaben, als Thronerben ausrufen lassen. Diese Lüge, die nur der heranwachsende Hamlet und seine Mutter kennen, lastet auf dem jungen Leben. Jedes natürliche Gefühl, das sich in seinem Herzen regt, wird verzerrt oder versteckt -- und rings um ihn geschieht grauenvolles Verbrechen, das zu sühnen dieser weibliche Mannesmut unternimmt. Aber stärker als ein edles Herz ist das Geschick; in der Vernichtung des Bösen stürzt auch er, der nur Reines wollte, stirbt Hamlet.
Die höchste Aufgabe für jeden Künstler, ein ganzes Menschenleben bis in die letzte Empfindung glaubhaft nachzuschaffen -- das bietet uns hier Asta Nielsens meisterhafte Leistung. Zusammen mit ihr wirkt eine erlesene Künstlerschar, und das Ganze rundet sich zu einem Werk, wie es heute keine andere Filmschöpfung in gleicher Vollendung zeigt.
filmhistoriker.de,
edited by olaf brill.
Last update (this page): 14 Jul 2011.
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