BOOK REVIEW

Stefan Eickhoff
Max Schreck
Gespenstertheater
München: belleville 2009
575 Seiten, deutsch, zahlreiche Abbildungen
ISBN 3936298548

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    Stefan Eickhoff - Max Schreck

Max Schreck ist einer der legendären Darsteller der Filmgeschichte, in Erinnerung geblieben durch eine einzige Rolle: den grauenhaften Vampir Graf Orlok in F. W. Murnaus Dracula-Verfilmung NOSFERATU. Groß und dürr, mit langen Krallen, spitzen Ohren, blutunterlaufenen Augen und starrem Blick, ist Schrecks Vampirgestalt eines der unvergesslichen Bilder der Filmgeschichte. Da lag es nahe, sein Leben zur Legende zu verklären: NOSFERATU wäre sein einziger Film gewesen und danach sei Schreck wieder in der Versenkung verschwunden, gab es zu lesen -- über sein Leben wäre nichts bekannt, wurde gemunkelt -- bis hin zur Fiktionalisierung von Schrecks Lebensgeschichte in E. Elias Merhiges Vampirfilm SHADOW OF THE VAMPIRE (2000), in dem Schreck kein Schauspieler, sondern ein echter Vampir ist.

Tatsächlich war dieser Max Schreck ein vielbeschäftigter Theaterschauspieler, der auch oft im Film aufgetreten ist, meist in kleinen Rollen, sowohl vor als auch nach NOSFERATU. Und zu seinem Leben und seiner Karriere gibt es viele Spuren, die der Autor Stefan Eickhoff nun in akribischer Detektivarbeit aufgesucht und in einem fast sechshundert Seiten starken Buch vorgelegt hat -- ein neues Standardwerk zu einem der bekanntesten Unbekannten der Filmgeschichte, das es uns nun erlaubt, Schrecks Leben und seine Film- und Theaterkarriere im Detail nachzuvollziehen. Dabei legt Eickhoff den Schwerpunkt sinnvollerweise auf Schrecks Haupt-Wirkungsstätte: seine Arbeit am Theater. Denn Schreck war vor allem ein Bühnendarsteller, mit nur gelegentlichen Ausflügen ins Filmfach. Einer der Gründe übrigens, warum so wenig von seiner Arbeit im Gedächtnis geblieben ist: "Vor den Zeiten des Films ist das Verschwinden der Schöpfung mit seinem Schöpfer das normale Schauspielerschicksal", schreibt Eickhoff: "Vielleicht ist sich Max Schreck dessen einmal beim Abschminken einer besonders geglückten Gestalt schmerzlich bewußt geworden und hat deshalb angefangen, sich selbst in einigen seiner Rollen zu fotografieren, um so wenigstens einen Teil seiner Arbeit zu bewahren." (S. 81). Zahlreiche dieser Selbstporträts finden sich dann tatsächlich im Buch, dessen Textteil reich illustriert und noch einmal durch eine umfangreiche Bildergalerie ergänzt ist (S. 235-293).

So wird nicht nur mit der Legende aufgeräumt, der Schauspieler Schreck sei selbst ein unfassbares Gespenst gewesen, sondern auch sein "Gespenstertheater" wird in unglaublicher Präzision erfasst: Schreck war durch seine Gestalt -- groß, hager, kleiner Kopf, spitze Ohren -- weniger für die Haupt- als für die Chargenrollen geeignet, und diese werden nicht nur im biographischen Teil des Buches beschrieben (S. 19-233), sondern auch in einem umfangreichen Anhang so komplett wie möglich erfasst, inklusive Stabsangaben, genauen Aufführungsdaten und Auszügen aus Kritiken (Theater- und Filmliste, S. 295-511). Ein Rollenverzeichnis (S. 531-543) und ein Namens-Register (S. 551-575) erleichtern die Arbeit mit dem umfangreichen Werk. Eickhoffs wissenschaftliche Präzision zeigt sich auch darin, dass Informationen aus unsicheren Quellen nicht einfach ungeprüft übernommen werden: So konnte das im Internet nachzulesende Gerücht, der Opernsänger und spätere Fabrikant Augustin Schreck, Vater der Schauspielerin Gisela Uhlen, wäre der Bruder Max Schrecks gewesen, nicht bestätigt werden (S. 228, Anmerkung 4). Dabei ist Eickhoffs Buch keine trockene Auflistung von Schrecks Verdiensten, sondern versucht jederzeit, sein Leben so lebendig wie möglich darzustellen. Als Beleg eine kurze Passage über einen "kostspieligen Spleen", den sich Schreck Mitte der Zwanziger Jahre in Berlin zulegte -- das Taxifahren: "Er wird bei Berlins Taxifahrern berühmt und gefürchtet für seine Art, erst im letzten Moment ein Taxi zu bestellen, das dann regelmäßig die auf Berlins Straßen zugelassene Höchstgeschwindigkeit überschreiten muß, um ihn noch rechtzeitig zu seinem Auftritt ins Theater zu chauffieren." (S. 156).

Zur lebendigen Schilderung des Menschen Max Schreck liefert Eickhoff eine ausführliche Beschreibung seines Umfeldes, etwa seiner Familie und Freunde -- so wird auch nach Schrecks Tod der weitere Lebensverlauf seiner Frauen Fanny Schreck und Ilva Günten weiter verfolgt (Epilog, S. 218-227), und einigen Bühnenkollegen und sogar den Theatergebäuden ist ein kleiner lexikalischer Anhang gewidmet (S. 515-529, chronologisch sortiert). Besonderen Wert legt Eickhoff, wie er von Anfang an explizit feststellt, auf landschafts- und stadtgeschichtliche Eindrücke der Orte, an denen Schreck gelebt hat. Dies wird dadurch gerechtfertigt, dass Schreck als besonders naturverbundener Mensch charakterisiert wird. Eickhoff nennt sein Buch daher die "topographische Biographie eines Schauspielers" (S. 9). Dies ist tatsächlich sehr anregend. Während ich diese Besprechung schreibe, sitze ich zum Beispiel in meinem Arbeitszimmer unweit der Bremer Wallanlagen, durch die, wie ich jetzt weiß, Schreck vor etwa einhundert Jahren während seines Engagements am Bremer Theater oft spaziert sein muss.

Der Schauspieler und Mensch Max Schreck ist durch Eickhoffs Buch dem Vergessen entrissen und in gewisser Weise wieder lebendig geworden (was witzigerweise sonst ja nur Vampire können). Wir wissen jetzt mehr und genaueres über diesen bekannten Unbekannten, der keineswegs nur die Figur war, die ihn in der Filmgeschichte unsterblich gemacht hat. Eickhoff: "Interessanterweise wird Max Schreck zu Lebzeiten nie auf diese Rolle festgelegt, die ihm den Durchbruch im Filmgeschäft verspricht, und mit der er lange nach seinem Tod weltweit ein Begriff und eines der Aushängeschilder deutscher Filmkunst werden soll. Sie bleibt für Max Schreck zunächst ohne Folgen. Vorher wie nachher gibt es in seinem Leben nur eine Priorität: die vielen unterschiedlichen Theaterrollen, ein ununterbrochenes Rollenstudium und -gestalten. (...) Größere Filmrollen, wie er sie vor NOSFERATU bereits gespielt hat, bekommt er durch diesen Film ebenfalls nicht. Er spielt nie wieder in einem Gruselfilm." (S. 141).

OLAF BRILL
18 Aug 2009

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filmhistoriker.de, edited by olaf brill.

Last update (this page): 18 Aug 2009.

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