BOOK REVIEW

Christian Kiening / Ulrich Johannes Beil (Hg.)
Rudolf Kurtz
Expressionismus und Film
Zürich: Chronos 2007
224 Seiten, deutsch, zahlreiche Abbildungen
ISBN 9783034008747

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    Rudolf Kurtz - Expressionismus und Film

Der in Zürich ansässige Chronos-Verlag hat jetzt eines der bekanntesten Werke der frühen deutschen Filmpublizistik neu herausgebracht: Rudolf Kurtz' Buch Expressionismus und Film, erschienen 1926 im Verlag der Lichtbild-Bühne, zu einer Zeit als der deutsche Film unter dem Etikett "Expressionismus" international Furore machte. Die Neuausgabe enthält das komplette Buch als Faksimile-Nachdruck, inklusive aller, auch farbigen, Abbildungen aus dem Original und dem von Paul Leni gezeichneten Original-Einband (verkleinert als Titelbild wiedergegeben). In einem umfangreichen Nachwort bewerten die Herausgeber Kurtz' Werk, ordnen es in den zeitgenössischen Kontext ein und analysieren seine Wirkungsgeschichte.

Rudolf Kurtz, Drehbuchautor, Filmkritiker und Chefredakteur der Lichtbild-Bühne, dem im Jahr 2007 auch ein Band der Reihe Film & Schrift gewidmet war, hat mit seinem Standardwerk dem Filmexpressionismus ein frühes Denkmal gesetzt und dabei ein zum Teil wohl auch selbst expressionistisches Werk vorgelegt. So schreibt er zur Handlung von Karlheinz Martins VON MORGENS BIS MITTERNACHT (1920): "Eine Flamme stößt in des Kassierers Hirn. Einmal Welt, einmal Leben, einmal Durchrasen, Wollust, einmal mit beiden Fäusten zupacken, überall, irgendwo", usw. (S. 68). Die Herausgeber kommentieren: "Überall dort, wo Filminhalt und -ablauf zu präsentieren sind, bricht sich eine expressionistische Prosa Bahn, geprägt von Ellipsen und Oxymora, Stakkato-Ton und Existenzpathos. Sie verweist auf den literarischen Kontext der Filme und auf das Problem, diese verbal zu repräsentieren: Formal vielfältig und uneinheitlich, phantastisch und sprunghaft, erfordern ihre die Grenzen von Körper, Raum und Linie auslösenden Tendenzen eine ihrerseits entgrenzte Sprache -- oder eine Wort-Bild-Collage, wie sie Leni für den Umschlag entwirft" (S. 154).

Expressionismus und Film ist entstanden zu einer Zeit, als "Expressionismus" -- zwischen Avantgarde und Massenunterhaltung -- im Film erfolgreich war und der Expressionismus-Begriff inflationär gebraucht wurde, bis dahin, dass alle zeitgenössischen deutschen Filme, die im Ausland vermarktet wurden, mit diesem Etikett belegt wurden. Kurtz setzt sich dagegen mit einer Haltung ab, die auch später immer wieder vertreten wurde (Barry Salt, vgl. S. 138): Er behandelt im Kern nur sechs Filme, die er expressionistisch nennt: DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1919), VON MORGENS BIS MITTERNACHT, GENUINE, DAS HAUS ZUM MOND (alle 1920), RASKOLNIKOW (1922/23) und DAS WACHSFIGURENKABINETT (1923/24). Dadurch hat Kurtz jedoch einen Kanon festgelegt, der den Blick auf vergessene Werke verstellt, die ebenso im Kontext des expressionistischen Films gesehen werden können, ohne den Expressionismus-Begriff der Beliebigkeit anheim zu stellen. Die Herausgeber weisen darauf hin, dass aus heutiger Sicht auch einige Werke hinzugenommen werden könnten, die bei Kurtz und den meisten seiner Nachfolger übergangen worden sind, z.B. die Dystopie ALGOL (1920), das bäuerliche Kammerspiel VERLOGENE MORAL (1920/21) oder die Wedekind-Verfilmung ERDGEIST (1922/23) (S. 164). Hinzufügen könnte man, dass erst in letzter Zeit das Augenmerk der Forschung auch auf die Vorläufer der 1920 durch CALIGARI ausgelösten expressionistischen Welle gelegt wurde, etwa Paul Czinners HOMO IMMANIS oder Robert Reinerts NERVEN (beide 1919).

Am Rande werfen die Herausgeber auch einen bibliophilen Blick auf Kurtz' Buch und stellen bescheiden fest, dass ihre Neuausgabe in einer Beziehung nicht an das Original heranreicht: Dieses war nämlich ein Kunstbuch, großformatig (21,5 x 27 cm), mit breitem Seitenrand, 73 Schwarzweiß-Abbildungen im Text und 5 mehrfarbigen Reproduktionen auf Tafeln. Damals immerhin 16 Reichsmark teuer, erzielt die Originalausgabe heute antiquarisch Preise über 1.000 EUR (S. 153 + Fußnote 91 auf S. 210). Wer solche Summen nicht investieren und dennoch diesen Klassiker der Filmpublizistik ins eigene Regal stellen möchte, dem ist mit dieser Faksimile-Neuausgabe bestens gedient.

OLAF BRILL
18 May 2009

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filmhistoriker.de, edited by olaf brill.

Last update (this page): 18 May 2009.

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