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DAS CABINET DES DR. CALIGARI THE CABINET OF DR. CALIGARI LE CABINET DU DR. CALIGARI |
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Directed by: | Robert Wiene. |
Written by: | Carl Mayer, Hans Janowitz. |
Production company: | Decla-Film-Gesellschaft Holz & Co., Berlin. |
Executive Producer: | Rudolf Meinert. |
Photography: | Willy Hameister. |
Set design: | Hermann Warm, Walter Reimann, Walter Röhrig. |
Costume design: | Walter Reimann. |
Cast: | Werner Krauß (Dr. Caligari / Director of the mental asylum), Conrad Veidt (Cesare, the somnambulist), Lil Dagover (Jane), Friedrich Fehér (Franzis), Hans Heinz v. Twardowski (Alan), Rudolph Lettinger (Dr. Olfen, Jane's father), Ludwig Rex (murderer), Elsa Wagner (landlady), Henri Peters-Arnolds (young doctor), Hans Lanser-Ludolff (old man). |
Studio / Locations: | Lixie-Atelier, Berlin-Weißensee (shot probably September / October 1919). |
Première: | 26 Feb 1920, Marmorhaus, Berlin. |
Censorship data: | Berlin 1920 (no. 10936), 6 acts, Decla-Film, Berlin, prohibited for children. Berlin 1920 (no. 43802), 6 acts, 1780 m, Decla-Film, Berlin, prohibited for children. Berlin 11 Mar 1921 (no. 1498), 6 acts, 1703 m, Decla-Bioscop A.-G., Berlin, prohibited for children. |
Restoration data: | 1984: restored colour version by the Bundesarchiv-Filmarchiv Koblenz
(Germany), based on two newly discovered tinted nitrate prints from film
archives in London (UK) and Montevideo (Uruguay), using material from German
archives, most notably the expressionistic titles of a bw print from the
Kinemathek (Berlin). Length 1492 m. Première 11.02.1984, Filmforum
Düsseldorf (Germany). Broadcast on tv, original air date 01.06.1994
(arte / la sept arte, Germany / France). Released on video 1996 (BMG Video).
Review 1996: restored colour version by the "Project Lumière", an international co-operation finding, identifying, and restoring films, done by the film archives of Brussels (Belgium), Munich (Germany), and Bologna (Italy), based on three tinted nitrate prints that were not consulted for previous restorations, from Montevideo, Brussels, and Milan. Much attention has been paid to developing a completely new colour scheme, based on a newly discovered register of nitrate tinted frames held by a private collector in Munich. Length 1577 m. Première 1996, Mostra del Cinema ritrovato, Bologna (shown before as a work-in-progress at the FIAF congress in Bologna in 1994 and at the 7th annual UCLA Festival of Preservation in May 1995). Released on video. 1996: restored colour version by David Shepard of Film Preservation Associates, based on a 35 mm early generation print from Russia, and the tints of the Bundesarchiv version. Also, Shepard recreated the original expressionistic titles in English. Released on laserdisc 1996 (Image Entertainment) and DVD 1997 (Image Entertainment) and 2000 (Eureka Video). Review |
Remakes: | 1962: The Cabinet of Caligari (USA, Roger Kay). |
DAS CABINET DES DR. CALIGARI is a critics' all-time favourite film. Its dark story and expressionist settings made it a mixture of horror thriller and high art. Also, it became a symbol of Germany's Weimar period, between world wars I and II. In his early film history book, 1930s The Film Till Now, Paul Rotha wrote: "Like a drop of wine in an ocean of salt water, THE CABINET OF DR. CALIGARI appeared in the profusion of films during the year 1920. Almost immediately it created a sensation by nature of its complete dissimilarity to any other film yet made. It was, once and for all, the first attempt at the expression of a creative mind in the new medium of cinematography."
Look out for more info coming soon about Olaf's upcoming book on the strange history of this extraordinary film ...
Herbert Juttke
Das Kabinett des Dr. Caligari
Das phantastische Filmspiel "Das Kabinett des Dr. Caligari", das im
Marmorhaus über die Leinwand rollt, ist ein Experiment, das man bis in
die kleinsten Kleinigkeiten als gelungen bezeichnen darf. Richard Oswald versuchte
das Spukhafte im Film in seinen "Nachtgestalten" im naturalistischen
Milieu zu schildern, Robert Wiene nimmt den Expressionismus zu Hilfe und untermalt
die Handlung im Verein mit seinen vortrefflichen künstlerischen Beratern
Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig sehr stark; dadurch werden
die eigenartigen Geschehnisse schon äußerlich erfolgreich in ein
unheimlich wirkendes Gewand gekleidet.
Die Verfasser Karl Mayer und Hans Janowitz führen uns zu Beginn in eine
Irrenanstalt, in der ein junger Mann (Francis) einem älteren die Wahnideen
seines Hirns vorgaukelt. -- Das Spezialstudium des Direktors der Anstalt ist
der Somnambulismus, den er an Hand eines alten Buches studiert, das den Lebenslauf
des Dr. Caligari schildert. Ein Somnambule namens Cäsare wird eines Tages
eingeliefert, und nun läuft das ganze Bestreben des Direktors darauf hinaus,
ein Caligari zu werden. Er bezieht mit Cäsare eine Jahrmarktsbude, befiehlt
ihm, Mord auf Mord zu begehen, bis er durch Francis gefaßt wird und in
seiner eigenen Irrenanstalt als Insasse landet. -- Francis hat seine Erzählung
beendet und geht mit seinem Gefährten in das Haus zurück. Hier sind
all die Gestalten, die er geschildert. Der Direktor kommt, Francis stürzt
auf ihn zu: "Du bist Caligari!" Er wird überwältigt und
fortgeschleppt, doch der Direktor hat sein Leiden erkannt und kennt nun auch
den Schlüssel zu seiner Heilung.
Die Regie Robert Wienes ist eine Leistung wie man sie bisher im Film nur äußerst
selten gesehen. Ihm stand eine Reihe erstklassiger Schauspieler zur Verfügung,
die er zielbewußt und sicher zu leiten verstand so daß sie sich
auch im Spiel und in den Bewegungen dem eigenartigen Milieu vorzüglich
anpaßten.
Der prachtvolle Dr. Caligari von Werner Krauß war eine Figur ganz im Geiste
E.T.A. Hoffmanns; Conrad Veidt gab den Somnambulen Cäsare ausgezeichnet
mit kalter Starrheit und tierischer Wildheit. Die schöne Lil Dagover war
eine liebreizende Jane; Fritz Fehér gab temperamentvoll, manchmal etwas
zu naturalistisch, den Francis. Hans Heinrich von Twardowsky als sein Freund
Allan war besonders eindrucksvoll in der Todesszene. Auch Rudolf Lettinger in
einer kleinen Rolle soll nicht vergessen werden.
Die Photographie von Willy Hameister ist einwandfrei. Die erzählenden Titel
rollen etwas zu langsam.
Der Eindruck des Werkes war sehr stark und löste ehrlich verdienten Beifall
aus, der in erster Linie dem Regisseur und mit ihm allen anderen galt.
K.
Caligari
Expressionismus im Film
Der Film, der gestern in einer Pressevorstellung im Marmorhaus gezeigt wurde,
wird schon durch seine selbstironische Aushangmarke "Du muß Caligari
werden" -- ein modernisierter Erlaß für Manoli links rum --
populär werden. Damit aber wäre seine Auffälligkeit nur ganz
äußerlich gekennzeichnet. Sein wirklicher Wert liegt darin, daß
mit ihm ein völlig neuer, und künstlerisch neuer, Entwicklungsabschnitt
des Films erreicht ist. Das bedeutet zugleich wieder einen entscheidenden Vorsprung
des deutschen Films in der Weltproduktion.
Der Regisseur der Decla, Dr. Robert Wiene, bekam von den beiden österreichischen
Autoren Carl Meyer und Hans Janowitz ein etwas abstruses Filmbuch "Das
Kabinett des Dr. Caligari". Es ist nicht möglich, die absichtlich
unlogische Handlung nachzuerzählen. Es ist eine Irrenhausgeschichte, also
gegen die Vernunft, Mordtaten eines Somnambulen unter hypnotischem Einfluß,
mit anklingenden Problemen des alternierenden Bewußtseins, der Exteriorisation
usw. Aber das Thema ist weder pedantisch wissenschaftlich noch brutal kriminell
gewendet, sondern romantisch, recht deutlich in die Atmosphäre Meyrinks,
Poes, Hoffmanns eingetaucht. Sollte nicht gerade dieses bißchen künstlerischen
Stils im Film verloren gehen, so ergab sich sofort die Frage: mit welchen Mitteln
kann man die konturverschwommene Stimmung des Unwirklichen, seelisch Verzerrten
auf der Leinwand ausdrücken?
Der Regisseur fand die einzig richtige Antwort: nur mit malerischen Mitteln.
Jeder nicht naturalistische, also stilisierte oder phantastische Film kann nur
als Kontur- und Flächenkunst dargestellt werden. (Es ist hier schon wiederholt
darauf verwiesen worden, daß der eigentliche und vorbestimmte "Dichter"
der Lichtbildkunst nur der Maler sein kann.) War also der Entschluß
zu einem rein malerischen Stil zwingend -- und damit begann schon das Experiment
-- so war es doch nicht der Entschluß zum expressionistischen Stil. Dieser
kam nur der besonderen Nervosität des Themas am weitesten entgegen. Deshalb
wagte man es mit dem Expressionismus, und es ist durchaus gelungen.
Es ist natürlich noch nicht denkbar vollkommener Expressionismus, der zur
Anwendung kam. Die ausführenden Maler, Hermann Warm, Walter Reimann, Walter
Röhrig, mußten -- Film ist auch Industrie -- vorsichtig bleiben.
Sie haben aber, wenigstens in der Darstellung der Landschaft, der Architektur,
der Kulisse (mit Ausnahme der Möbel), auch nicht kompromisselt. Sie versuchten
sogar das unüberwindlich naturalistische Element des Films, den lebenden
Menschen, durch Kostüm, Maske usw. stilistisch zu bändigen. Sie werden
aus ihrem ersten Versuch auch praktische Lehren ziehen: den expressionistischen
Rhythmus der Umrisse noch entschiedener, stärker zu betonen, und die Dekoration
noch größer, höher zu machen, um den hierneben verkleinerten
Menschen unrealistischer erscheinen zu lassen. Der Regisseur wiederum wird das
nächstemal die Geste der Spieler noch willkürlicher modeln. Gestern
waren nur Werner Krauß -- dessen schauspielerische Leistung in jedem Belang
sehr interessant war -- und Conrad Veidt soweit wie irgendmöglich stilecht.
Danach kam Herr v. Twardowski, im Bewußtsein richtig, in der Ausführung
nicht ganz einheitlich. Der schön gezeichnete Kopf Lil Dagovers fügte
sich gut, aber verdienstlos ein. Feher, gefällig aussehend und angenehm
in der Bewegung, spielte realistisch pathologisch, manchmal sogar nur kintoppdramatisch.
Aber das ist alles nur ästhetische Theorie. Die wichtige Frage ist: Wie
ging die Masse des Kinopublikums mit? Das war die andere Überraschung der
Aufführung: der Expressionismus, in den Kunstausstellungen noch immer befehdet
und verlacht, setzte sich auf der Leinwand mühelos durch. Die schlagend
neuartige Wirkung mancher Bilder -- ein Jahrmarkt, ein Schattenkampf, eine Flucht
über Dächer, Gefängniskorridor und Zelle, Kuppelsaal einer Irrenanstalt
-- war so stark, daß sie unmittelbaren Beifall auslöste.
Bestätigt sich dieser Erfolg auch auf die Dauer, so ist zu fürchten,
daß wir eine Flut "expressionistischer" Filme bekommen werden.
Das wäre der Gipfel des Filmkitsches, aber er würde ebenso schnell
an seiner Lächerlichkeit wieder untergehen. Gelingen kann es nur, wenn
Geschmack, Intellekt und, vor allem, vor allem! künstlerisches Urteil wie
hier vereinigt am Werke sind.
Anonymous
Der erste expressionistische Film
Seit etlichen Wochen mahnt eine erhobene Hand von Plakaten: "Du mußt
Caligari werden!" . . . Jetzt weiß man warum und bekennt sich gern
zu dem Filmwerk "Das Kabinett des Dr. Caligari"; es hat im Marmorhaus
die Uraufführung erlebt und ist imstande, einen großen Teil der unvermeidlichen
und berechtigten Einwände gegen das Filmdrama zu besiegen. Nicht die reichlich
abenteuerliche Handlung ist hier das Entscheidende: wesentlich scheint, daß
es dem Regisseur gelungen ist, das romantisch Gegeneinanderflutende, das Wirre
und Filmkrasse der Handlung malerisch zu durchdringen. Es wird ein expressionistisches
Experiment gewagt. Und es ist restlos gelungen. Mit Hilfe dreier Maler -- Hermann
Worm, Walter Reimann und Walter Röhrig -- ist eine bezwingend eindrucksvolle
Stilisierung gelungen, die das naturalistische Element nicht ausschaltet. Diese
Irrenhausgeschichte, im Stoff schon die Fülle verzerrter Gestalten bergend,
ist so oder ähnlich oft genug dagewesen. Erstaunlich ist, wie sie durch
die expressionistische Linie an Ausdrucksfähigkeit gewinnt. Einige der
Bilder lösten lauten Beifall aus: wenn der Eindruck nicht trügt, dann
wird das Publikum den expressionistischen Film aufnehmen. Der erste seiner Art
ist freilich ein mit besonderem Verständnis geformtes Werk. Es wird von
der reizenden Lil Dagover, dem hier in seinem eigentlichsten Rhythmus lebenden
Conradt Veidt, dem jungen Hans Heinrich v. Twardowski und Werner Krauß
(eine starke Leistung) mit feinstem Erkennen der neuen Form dargestellt. Es
war ein verdienter Erfolg von nicht alltäglichem Ausmaß.
--r.
"Das Kabinett des Dr. Caligari".
Marmorhaus.
Die Regie: Sie muß zuerst genannt werden, denn sie ist ganz hervorragend
und wandelt eigene Wege. Verantwortlich dafür zeichnet Robert Wiene. Das
Stück verlangt Menschen mit besonderen Gefühlen und Audrucksweisen,
die ihnen der Regisseur einhauchte. Alles abgetönt und abgerundet bis zur
Vollendung. Straff, knapp, mitunter beklemmend die Geschehnisse.
Der Aufbau: Hermann Warm, Walter Reimann, Walter Röhrig. Zum ersten
Male Futurismus im Film.
Das Auge wird gefangen. Geschmackvoll Neues, in künstlerischer Eigenart.
Expressionismus und Futurismus begegnen sich, tauchen ineinander.
Die Darstellung: Eine einzige große Leistung: Werner Krauß
als Dr. Caligari. Nach dieser Schöpfung darf man Krauß als den hervorragensten
Charakterdarsteller bezeichnen, den wir bisher im Film sahen. Ausgezeichnet
in Haltung und Maske, selbst die sichtbar geklebte Nase stört nicht. Jede
einzelne Handbewegung charakteristisch, jede Bewegung des Kopfes sprechend,
jeder Schritt eine Bedeutung. Wundervoll in die Wiedergabe der Empfindungen.
Eine Meisterleistung schlichtweg.
Fritz Fehér als Francis lies die nötige Modulationsfähigkeit
vermissen, darüber täuschen selbst einige glänzende Momente nicht
hinweg. Conrad Veidt als Cesare hatte nicht viel zu spielen, was er brachte,
war gut. Die Figur der Jane ist von den Autoren blaß und seelenlos geformt.
Lil Dagover konnte nicht viel herausholen. Weich und gemütvoll und prächtig
im Ausdruck Hans Heinz von twardowski als Allan. Nebenbei Rudolf Lettinger als
Sanitätsrat Olfers.
Die Photographie: Willi Hameister schuf ausgezeichnete Bilder und unterstützte
durch seine Kunst den Regisseur vortrefflich. Besonders gut gelangen ihm seine
Ueberblendungen. Viele Operateure sollten sich das Stück ansehen, um von
Hameister zu lernen.
Das Manuskript: Spannend und gelungen im Aufbau.
[editor's supplement:] Ueber die künstlerische Bedeutung dieses
Filmes, der ganz eigenartige neue Wege einschlägt, behalten wir uns eine
eingehendere Besprechung vor. D. Red.
Martin Proskauer
"Das Kabinett des Dr. Caligari."
Ein Nachwort und eine Prophezeiung.
Immer deutlicher spürte man in letzter Zeit die Versuche denkender Filmregisseure,
den Film in neue weiterführende Wege zu leiten. Man hatte erkannt, daß
die naturalistischen Motive -- ganz gleich, ob historischer oder moderner Natur
-- ein Dutzend Ausstattungs- und Abwandlungsmöglichkeiten ergaben, und
daß man dann mit Regie- und Inszenierungspointen wieder von vorn anfangen
müßte.
Es blieb also das Gebiet des phantastischen Films. Hier hat nun Robert Wiene
mit dem "Kabinett des Dr. Caligari" einen kühnen und sicheren
Schritt getan. Er hat sich zu der Erkenntnis vorgearbeitet, daß heute
allein der Film, der sich nicht ängstlich an die Geschehnisse des Alltags
klammert, entwicklungsfähig ist, daß auch der "Prunkfilm"
sich bereits in kostspieliger Naturalistik festrennt. Und er stellte der Phantastik
des Sujets auch die gesamte Dekoration zur Verfügung.
In diesem Film ist alles von der Banalität des Alltags losgelöst.
Straßen und Plätze, Mauern und Stuben, Dachfenster und Stühle
erscheinen in einer besonderen Form betont, seltsam bedeutungsvoll und wichtig.
Die Dekorationen in "Dr. Caligari" sind nicht gebaut, wie man die
Dinge sieht, sondern wie man sie in besonderen seelisch stark gespannten
Augenblicken empfindet.
Wie Regie und Malerei diese Aufgaben gelöst haben, ist technisch ganz famos.
Man fühlt, daß künstlerisches Temperament dahinter steckt.
Da ist ein Jahrmarkt. Er besteht in Wirklichkeit aus einem gemalten Hintergrunde,
vor dem sich die Zeltschirme zweier Karussells drehen. Davor ist ein plattformartiger
Vordergrund, auf dem sich, rasch und erregt getrieben, das Volk bewegt.
Das ist bildlich ganz hervorragend, und ich hatte, als ich die rotierenden Karussellspitzen
sah, durch den optischen Effekt plötzlich das Dudeln der Jahrmarktsorgeln
im Ohr. Das war eine vollendete Leistung der Regie.
So ist fast überall der charakteristische Eindruck der Dinge im wesentlichen
erfaßt und noch zugespitzt.
Wir alle haben schon im Amtszimmer warten müssen und haben stets einen
Mann gefunden, der, gleichsam über die misera plebs emporgeschraubt,
auf hohem Drehstuhl thront und uns warten läßt. Hier greift jetzt
die neue Idee des Regisseurs ein. Sein Amtssekretär hockt wie ein böses
Tier oben auf überhohem Drehsessel und zischt dem Petenten entgegen: "Warten!"
Und das Wort erscheint auch, Stileinheit wahrend, im Titel in spitzer, hingespritzter,
fast körperlich schmerzhafter Linienführung.
Gänge und Gassen sind in diesem Film, die durch Verschieben der Perspektive
etwas von der Wucht des traumhaft Unwirklichen erhalten.
Dachfenster haben spitze, verzerrte Winkel. Dächer überschneiden sich
in scharfen Linien, und wir fühlen (ohne daß es uns gesagt wird),
daß dahinter der Absturz droht.
Von diesem Film an wird eine Wende künstlerischer Filmauffassung
datieren.
Hoffentlich wird man auch mit Erfolg versuchen, auf moderne Sujets den eigenen
Filmstil zu übertragen. Und dann wird man, dank Wienes Wegweiserarbeit,
erkennen, daß der Filmprunk à la Palais de Danse abgewirtschaftet
haben muß.
Wenn hier auch viel Arbeit geleistet wurde, so waren die toten Dinge, die sich
aus Holz und Farbe schaffen lassen, der leichtere Teil. Die Herrschaft über
die Menschen, über die Darsteller, war schwerer.
Fast restlos fügte sich Werner Kraus der Idee ein, ich sah schon lange
nicht so gutes Spiel. Hier zeigte sich, daß der Schauspieler ein "nachschaffend
schöpferischer" Künstler ist, wenn er seine Aufgabe wirklich
erfüllt.
Auch Conradt Veidts Somnambule (wie von Kubin gezeichnet) war vorzüglich
im Spiel und in der Linie seines Körpers. Die anderen -- außer Twardowski
-- stecken noch zu sehr im Naturalistischen und stellten sich so abseits von
der Grundidee.
Wenn die Weiterentwickler dieser Filmspezies noch auf stärkere Stilisierung
des Spiels und vor allem der Kostüme achtet und sie zur zeitlosen Wirkung
erhebt, so wird die Gesamtleistung noch größer und der künstlerische
Genuß noch tiefer werden.
Aber -- dieser "Dr. Caligari" ist ein erster Versuch, der als großer
künstlerischer Gewinn zu buchen ist und den sich seine Schöpfer auf
Grund ehrlicher und neue Werte schaffender Arbeit gutschreiben dürfen.
Herbert Ihering
Ein expressionistischer Film
Expressionismus und Film forderten sich gegenseitig heraus. Der Film verlangte
als letzte Konsequenz die Uebersteigerung und Rhythmisierung der Gebärde,
der Expressionismus die Darstellungs- und Variationsmöglichkeiten der Leinwand.
Gerade für den Schauspieler mußte der Film ein Zwang zu extensiver
Darstellung werden und so den Tendenzen einer neuen Bühnenkunst entgegenkommen.
Wenn man die übernaturalistischen Forderungen des Filmspiels rechtzeitig
erkannt hätte, hätte das Kino -- trotz der künstlerischen Demoralisierung
durch den Betrieb -- an der Entwicklung einer präzisen, akzentuierten,
durch Sachlichkeit phantastischen mimischen Kunst mitarbeiten können. Aber
man blieb soweit zurück und am Stofflichen haften, daß heute der
expressionistische Film, der organische Entwicklung sein müßte, für
ein sensationelles Experiment gehalten wird.
Es ist bezeichnend, daß das Filmspiel "Das Kabinett des Dr. Caligari"
von Carl Mayer und Hans Janowitz nur deshalb von der Regie expressionistisch
durchgearbeitet wurde, weil es im -- Irrenhause spielt. Man setzt also der Vorstellung
der gesunden Wirklichkeit die Vorstellung der kranken Unwirklichkeit entgegen.
Oder: Impressionismus ist da, wo man zurechnungsfähig, Expressionismus,
wo man unzurechnungsfähig bleibt. Oder: der Wahnsinn als Entschuldigung
für eine künstlerische Idee. Aber wir wollen annehmen, daß Conrad
Wiene das expressionistische Wagnis beim zweiten Male nicht so ungeheuer erscheint
und er über die Motivierung seines Vorstoßes lacht. Denn für
alles gesteigerte, Stoff überwindende Spiel -- und das soll der Film geben
-- ist der Expressionismus Erfordernis und Gesetz. Nicht der Film ist gut, der
über das Fehlen des Worts zur Not hinwegtäuscht, sondern der, dessen
Vorgänge durch das Wort gestört würden. Der Rhythmus der Lautlosigkeit,
der durch Gebärdengliederung die Sprache aufhebt, ist Ende und Ziel.
Im Einzelnen wird dieses Ziel im "Kabinett des Dr. Caligari" zwar
angestrebt, aber nicht immer erreicht. Wenn in einer Dekoration, in der sich
alle Linien überschneiden, ein handfestes, naturalistisches Bett steht,
so wird der Rhythmus aufgehoben. Wenn Schauspieler in Landschaften und Zimmern,
die mit ihren Formen über sich selbst hinausstreben, energielos und unbestimmt
spielen, so fehlt die Fortsetzung des Prinzips auf den körperlichen Ausdruck.
Wenn maskenhaft starr geschminkte Darsteller mit naturalistisch hergerichteten
wechseln, so tilgt sich der Stil. Und was sich aneinander steigern sollte, hemmt
sich. Von kleineren Rollen abgesehen -- Herr Fritz Fehér macht die alte,
kitschige, dicke Filmmimik und Lil Dagover ist die süße Talentlosigkeit,
die mit ihrer ausdruckslosen Glätte überall, aber hier erst recht
unmöglich ist. Der Expressionismus entlarvt. Er verlangt eine unnachgiebige
Auswahl der Schauspieler.
In den Gliedern hatten den Stil Conrad Veidt, der über seinen eigenen Körper
hinauswuchs, als Somnambule, und das Phänomen Werner Krauß als Dr.
Caligari. Aber es ist seltsam: Werner Krauß, der im Schauspiel jeden Akzent
ohne verkleinernde Nuancierung aus der unheimlichen Intensität seines Leibes
holt, ist im Film, wo die Ausdruckskraft seines Körpers zur letzten Steigerung
kommen müßte, oft unruhig und greift zu chargierenden Stützen,
die er sonst nicht kennt.
Im übrigen: dieser Film ist im Malerischen -- verantwortlich sind dafür
die Herren Hermann Warm, Walter Reimann, Walter Röhrig -- ein Fortschritt,
in der Regie ein Versprechen. Um dies zu erfüllen, müssen Kompromisse
entfernt, und für den Schluß die üblichen Rennereien, Verlegenheitsverfolgungen
und banalen Gruppierungen weggeräumt werden. Dann kann der Film sich über
die technische Beherrschung, die Lubitsch vertritt, zu einer freieren Rhythmisierung
und damit zu einer ihm gemäßen Geistigkeit durchringen.
My [Dr. Wilhelm Meyer]
Filmkunst des Malers
Es gilt, eine neue Seite in der Geschichte des Films zu beginnen: "Das
Kabinett des Dr. Caligari", durch rhythmische Werberufe in den Lichtkreis
allgemeiner Spannung gerückt, hat sich als eine künstlerische Einheit
und ein Aufwärts in der Entwicklung des Filmspiels erwiesen; es stellt
zum ersten Male die bildende Kunst ebenbürtig neben die darstellende und
schweißt Bild und Bewegung zu einer Wirkungsharmonie zusammen. Das Gelingen
wiegt doppelt, denn man rief Expressionisten zu Helfern, und konnte sie rufen,
da der phantastische Spuk schließlich als das irre Erleben eines kranken
Gehirns enträtselt wird. Diese Welt des Wahns, nicht durch flackernde,
huschende Visionen, sondern durch die ruhige, aber verzerrte Einstellung eines
seelischen Blickes zu geben -- das ist in Bildern von seltener körperlicher
Geschlossenheit und Stimmungsschwere geglückt. (Drei Maler: Warm, Reimann,
Röhrig.) Der Spielleiter Wiene hat mit rühmenswertem Stilgefühl
die bewegte menschliche Gestalt den toten und doch mit der Handlung lebenden
Hintergründen verbunden. Vor allem der Caligari des Werner Krauß
(der hier in die vorderste Reihe der Filmdarsteller tritt) ist in Maske, Miene
und Gebärde von gespenstischer Romantik, stärkster E.T.A. Hoffmann;
ihm zunächst Veidt mit der Leichenblässe des Somnambulen. Im Abstand
Twardowski, Lettinger, Lil Dagover -- aber von einem auf den inneren Klang des
Spiels abgestimmten Regiewillen zusammengefaßt. Dies ist der bleibende
Eindruck: hier ist ein Kunstwerk geschaffen, das willig den natürlichen
Gesetzen des Films folgt und sein eigenstes und stärkstes Ausdrucksmittel,
das Malerische, in einem Grade der Vollendung zur Auswirkung bringt.
Anonymous
Das Cabinet des Dr. Caligari
Endlich ist die Spannung gelöst. Die geheimnisvollen Plakate: Du mußt
Caligari werden, die man in letzter Zeit an allen Anschlagsäulen, Untergrundbahnstationen
usw. sah, haben sich als Ankündigungen eines expressionistischen Films
entpuppt, der zurzeit im Marmorhaus gezeigt wird. Expressionismus im Film, aber
von wahrhaft künstlerischen Wert. Mit der Ausstattung waren die Herren
Warm, Raimann und Röhrig betraut, die keine leichte Aufgabe hatten, da
die neuartige Aufmachung leicht hätte lächerlich wirken können.
Robert Wiene führte eine vorbildliche Regie. Werner Krauß war Dr.
Caligari. Haltung und Minenspiel erinnerten an seine Schigolch-Rolle in der
Büchse der Pandora. Conrad Veidt gab einen Somnambulen von unübertrefflicher
Meisterschaft in Linie und Bewegung. Lil Dagover gefiel mir weniger als in Harakiri.
Auch die übrigen Hauptrollen lagen bei Feher, Twardowski und Lettinger
in guten Händen. Wird der Film bei der breiten Masse Anklang finden? Wert
ist er es schon, doch wer weiß, ob das Publikum schon reif dafür
ist.
E.B.
Das Cabinet des Dr. Caligari
"Das Cabinet des Dr. Caligari". Ein Filmspiel in 6 Akten von Carl
Mayer und Hans Janowitz. Regie: Robert Wiene, künstlerische Ausstattung:
die Kunstmaler Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig. Photographie:
Willi Hameister, hergestellt von der Fabrikationsabteilung des Decla-Konzerns,
Berlin SW 48.
Berlin hat ein neues Schlagwort mehr. "Du mußt Caligari werden."
Seit Wochen schrie einem dieser geheimnisvolle kategorische Imperativ von allen
Plakatsäulen entgegen, sprang aus den Spalten aller Tageszeitungen hervor.
Eingeweihte fragten: "Sind Sie auch schon Caligari?" So ungefähr
wie man früher fragte: "Sie sind wohl Manoli?" Und man munkelte
von "Expressionismus im Film" und "verrückt". Nun ist
er heraus, dieser erste expressionistische Film und abgesehen davon, daß
er im Irrenhause spielt, kann man nichts Verrücktes an ihm finden. Man
kann sich zur modernen Kunst stellen, wie man will, in diesem Fall hat sie entschieden
eine Berechtigung. Krankhafte Ausgeburten eines irren Geistes finden in diesen
verzerrten, seltsam phantastischen Bildern einen zur höchsten Potenz gesteigerten
Ausdruck. Die Welt malt sich anders im Hirn eines Wahnsinnigen, und wie die
Gestalten seiner Phantasie zum Teil spukhafte Formen annehmen, so zeigt auch
die Umwelt, in der sie sich bewegen, ein bizarres Gesicht: schiefe Zimmer mit
dreieckigen Fenstern und Türen, unwirklich krumme Häuser und bucklige
Gassen. Und man kann von diesen tollen Bildern wie von der Handlung sagen: "Ist
es auch Wahnsinn, hat es doch Methode." Das Manuskript bringt in durchaus
logischer Entwicklung die Erzählung eines Irren, der durch den unter eigenartigen
Umständen erfolgten Tod eines Freundes wahnsinnig geworden ist und nun
Wahrheit und Phantasie zu einer seltsamen Schauergeschichte verquickt. Ein gewisser
Dr. Caligari, den er mit dem Direktor der Anstalt identifiziert und der durch
einen Somnambulen, mit dem er auf Jahrmärkten herumzieht, geheimnisvolle
Morde ausführen läßt, spielt darin die Hauptrolle. Die Handlung
ist packend, viele Szenen direkt von faszinierender, atembeklemmender Wirkung,
wie z.B. eine Mordszene, bei der man nur die Schatten der ringenden Personen
sieht (technisch übrigens ein hervorragend gelungenes Bild) oder das Traumerlebnis
der Braut des Irren, in dem sie von dem Somnambulen überwältigt und
über die Dächer hinweg auf schwindelnd schmalem Weg entführt
wird. Sehr eindrucksvoll wirkt auch das Schlußbild aus dem Hof des Irrenhauses
mit dem Tobsuchtsausbruch des Wahnsinnigen und seiner Unschädlichmachung
durch die Zwangsjacke. Fritz Fehér spielt diesen Irren mit vorzüglicher
Mimik, wie überhaupt die schauspielerischen Leistungen sämtlicher
Mitspielenden ganz hervorragend sind. Werner Kraus in der phantastischen Maske
des Dr. Caligari; ein Kabinettstück, das ihm so leicht keiner nachmacht.
Neben ihm Conrad Veidts dämonischer Typ, als Somnambuler von einfach unheimlicher
Wirkung; nervenschwache Personen können Alpdrücken davon bekommen.
Die Braut des Irren verkörpert Lil Dagover in sanfter Schönheit. Vorzüglich
auch in kleineren Rollen, Rudolf Lettinger und Hans Heinz v. Twardowski, der
bekannte Dichter und Rezitator. Robert Wiene führt die Regie mit gewohnter
Meisterschaft und vermittelte im Verein mit den Kunstmalern Warm, Reimann und
Röhrig starke Eindrücke, unterstützt durch die brillante photographische
Wiedergabe.
Die Decla-Filmgesellschaft hat mit diesem neuesten Werk bewiesen, daß
die Filmkunst noch lange nicht mit ihrem Latein zu Ende ist, und daß noch
neue, ungeahnte Möglichkeiten zu ihrer Weiterentwicklung offen stehen.
B.
Das Kabinett des Dr. Kaligari
Hier wird einmal die Menge gepackt! -- Hier steht auf hohem Piedestal ein Können, das uns sagt, zeigt -- so malt sich in meinem Kopf die Welt. So ganz anders, so unerhört frei in allen Begriffen, herausspringend aus öder Alltäglichkeit. -- Hier und da rieselt Grauen -- tropft Geisterspuk -- greift eiserne Spannung von uns Besitz.
Das Publikum verschlingt mit wilder Begier Bild für Bild, Szene für Szene, berauscht von dem Neuen -- nie Gesehenen, kaum Geahnten.-- Dort der Greis, ein mit dem Leben Fertiger: Weit vornübergebeugt werden seine Augen eins mit den vorübereilenden Bildern einer unbekannten Welt. -- Hier der blasierte Lebejüngling: Zuerst ablehnende Arroganz -- da, jetzt saugen sich seine Augen fest und lassen kein Bild. Und so alle.
Kaligari! Der Traum eines Irren -- ein Erlebnis? Gleichviel. Wir folgen gern und wollen keins der Bilder missen, die Robert Wienes künstlerische Hand uns hervorzaubert. Wir tauchen unter in die Mysterien -- die Welt der Irren.
Kaligari! Die Figur eines Wahnsinnigen --! Werner Krauß -- ein Meister der Mimik -- zieht uns hinüber in sein Reich. Sein Spiel ist tiefstes Empfinden -- er wächst in seinem Kaligari zu einer künstlerischen Figur -- riesengroß.
Kaligari! Der Somnambule! Was Konrad Seidl [sic] uns hier gab, war mehr als sinnenhafte Kopie -- war ureigenstes Auffassen einer der schwierigsten Rollen. Einem belebten Gemälde gleicht der Schattenriß seines nachtwandelnden Mörders.
Zum Schluß: Das Kunstwerk "Kaligari", wird es nicht Nachahmer finden -- werden nicht findige Köpfe hier Geschäfte wittern? -- Ich warne! Die Voraussetzungen für das restlose Gelingen dieses Werkes lagen im Sujet. -- Man schütze uns vor einer Flut von angeblichem Expressionismus, Futurismus oder Kubismus! Es wäre unerträglich, durch sinnlose Serienfolge den künstlerischen Wert einer Schöpfung wie "Kaligari" herabgezogen zu sehen.
Das Kunstwerk steht -- was nachkommt, ist Geschmacklosigkeit!
Balthasar [Roland Schacht]
Caligari
Im Spätherbst des Jahres 1722, zur Zeit des Jahrmarktes, erschien auf der
Stadtschreiberei zu Udine eines Morgens ein schon bejahrter, korpulenter, aber
ungemein beweglicher und lebhafter Mann, der vorgab, Dr. Caligari zu heißen
und um die Erlaubnis nachsuchte, in seiner Bude einen neuen Wundermann, einen
Somnambulen, vorzuführen. Der Stadtschreiber erteilte zwar die Erlaubnis,
jedoch, von allerlei lästigen Geschäften, die unterschiedliche Vorfälle
des Jahrmarktes mit sich brachten, bedrängt, nicht ohne zuvor sichtlich
den Zorn des als großen Gelehrten sich ausgebenden Alten dadurch, daß
er ihn geraume Zeit hatte warten lassen, erregt zu haben. Am nächsten Morgen
fand man den Stadtschreiber auf rätselhafte Weise ermordet. Niemand wäre
es beigekommen, diesen schnellen und schrecklichen Tod, der die kleine Stadt
in bedeutende Unruhe versetzte, mit dem Besuch des Alten in Verbindung zu bringen,
hätten nicht [p. 696:] Anlaß dazu verschiedene nicht minder
grausige Vorgänge der Folgezeit gegeben. Unter den Besuchern der Schaubude
des Dr. Caligari nämlich, der täglich wegen seiner seltsamen, wunderbaren
Vorführungen vielen Zulauf fand, waren auch zwei Freunde, deren einer,
auf die Aufforderung des Quacksalbers, den Schlafenden, der angeblich alles
wußte und Vergangenheit wie Zukunft kannte, auf die Probe zu stellen,
auf seine in übermütigem Tone vorgebrachte Frage, wie lange er noch
zu leben habe, nach einigen Augenblicken beklemmenden Schweigens, während
dessen der Schlafende, die leeren Augen auf sonderliche Art öffnend, den
Fragenden drohend angeblickt hatte, die Antwort erhielt: Den nächsten Morgen
schon wirst du nicht mehr sehen. Am nächsten Morgen wurde der Jüngling
tatsächlich, und sonderbarerweise auf die gleiche Art wie der Stadtschreiber,
mittels eines langen spitzen Instruments erstochen aufgefunden. Die Aufregung
der Stadt wuchs, als ein bekannter Landstreicher einen Raubmord unternahm, dessen
Gelingen jedoch durch rasches Zugreifen der Nachtwachen glücklich vereitelt
wurde. Da er sich zur Tat eines langen spitzen Dolchmessers hatte bedienen wollen,
so glaubte man bereits in ihm den Urheber auch der beiden vorhergehenden Bluttaten
entdeckt zu haben, allein zu allgemeinem Erstaunen gab der Gefangene wohl die
Tat, auf der er ertappt worden, zu, gestand auch die Absicht des Mordes freimütig
ein, leugnete jedoch jede Schuld an den beiden anderen Vorfällen, die er
vielmehr habe benutzen wollen, um den Verdacht auch seiner Tat dem unbekannten
Mörder zuzuschieben. Und obgleich er dies nun mit vielen Eiden bekräftigte,
wäre ihm von Seiten des Gerichtes kaum Glauben geschenkt worden, hätte
nicht ein letzter Vorfall des Rätsels Lösung ergeben. Es wurden nämlich
der Stadtarzt sowohl wie seine Söhne in der folgenden Nacht durch Geschrei
aus dem Schlafzimmer der Tochter und Schwester aus dem Schlummer geschreckt,
um, rasch herzugeeilt, durch ein offen stehendes Fenster gewahren zu müssen,
wie mit Riesenkraft eine hagere Gestalt das ohnmächtige Mädchen über
die Dächer davontrug. Mit Hilfe der rasch alarmierten Nachbarn gelang es
ihnen, die Verfolgung des Räubers aufzunehmen und ihm nach rascher Jagd
durch Vorgärten und über freies Feld nicht nur seine Beute abzujagen,
sondern auch ihn selbst zu hetzen, bis er zusammenbrach. Man erkannte in ihm
den Schützling des Dr. Caligari, der seinerseits am Morgen spurlos verschwunden
war. Es ergab sich, daß das Mädchen, von dem Doktor in die Bude gelockt,
dem Somnambulen gezeigt worden, dann aber in unbegreiflichem Schreck entflohen
war. Von dem Dr. Caligari hat niemand wieder je etwas gehört.
Bis hierher bildet, durch einige untergeordnete Motive erweitert, das "Kabinett
des Dr. Caligari" eine Einheit, aus der sich ein spannender Film ergibt.
Es stellt sich jedoch im weiteren Verlauf heraus, daß der Direktor einer
Irrenanstalt nur von diesem Dr. Caligari gelesen hat und nun unter der Zwangsvorstellung:
du mußt Caligari werden, einen eingelieferten Somnambulen zu seinen Experimenten
benutzt, so daß obige Handlung herauskommt. Es stellt sich aber weiterhin
heraus, daß all [p. 697:] dieses wiederum nur der Gedankengang
eines Irrsinnigen ist, der den Direktor seiner Anstalt dieser Geschehnisse beschuldigt.
Durch dieses Anhängen einer Doppelsphäre von Erklärungen, wird
der dramatischen Wirkung der oben erzählten Begebenheit natürlich
der Hals umgedreht. Der einen Erläuterung gibt der Zuschauer noch willig
nach, die zweite enttäuscht und langweilt.
Aber diese Beanstandung ist so gut wie nebensächlich angesichts der sonstigen
großen künstlerischen Bedeutung dieses Films im ganzen. Zum ersten
Mal nämlich ist hier der Film grundsätzlich aus dem Bereich der Photographie
in die reine Sphäre des Kunstwerks gehoben, zum ersten Male wird grundsätzlich
der Nachdruck nicht auf das Was des brutalen und spannenden Geschehens, sondern
auf das Wie gelegt, zum ersten Male keine vulgär illusionistische, sondern
eine künstlerische Wirkung angestrebt. Die Vorgänge geschehen nicht
im Bereich wirklicher oder Wirklichkeit vortäuschender Umwelt, sondern
in einer phantastischen. Keine Naturaufnahmen, sondern Bilder, keine wirklichen
Stadtansichten, oder Amtsräume, oder Bürgersalons, sondern Dekorationen,
deren bildmäßige Komposition die seelische Dominante des Vorgangs
klar und ungestört durch Zufälligkeiten der Wirklichkeit zum Ausdruck
bringt. Die Schwierigkeit war nun offenbar, ob es gelingen würde, die wirklichen
und sich bewegenden Menschen mit dieser Dekoration, mit diesem Gestaltungsprinzip
überhaupt in Einklang zu bringen. Und, von wenigen Ausnahmen namentlich
in der Statisterie abgesehen, ist es gelungen, durch leichte Stilisierung in
den Kostümen und durch richtige Einstellung der Spieler. Auch diese wirken
jetzt weniger durch bedeutungsvolle Mimik als durch den künstlerischen
Reiz ihrer Bewegung, bildmäßigen Erscheinung und Stellung im Bildganzen.
Hier und da sind Unklarheiten, Fritz Fehérs Physiognomie erinnert fatal
an einen besseren Seidenkommis, Werner Krauß, so gut er an sich ist, wirkt
hier und da noch zu rund und isoliert, die Stilisierung der Dekorationen ist
nicht immer ohne Manier, ein wichtiger Moment: wie der Somnambule sich entschließt,
anstatt das Mädchen zu ermorden, es zu rauben, ist übergangen, aber
das sind wieder nur Einzelheiten neben vielem Vortrefflichen: der schauerlich
leeren Jahrmarktsgasse, den kreisenden Karussells, der traumhaften Treppe zur
Stadtschreiberei, dem nächtigen Gäßchen der Stadt, dem Wagen
und der Bude Caligaris, dem Schatten des heranschleichenden Mörders, dem
Mordversuch mit der Alten, die aus dem Fenster schreit, der schlafgebundenen
Erscheinung Cesares im Zimmer des Mädchens, dem Raub aus dem Bett mit der
nachschleifenden Schleiermasse, der Gartenszene mit den Liebenden, dem am Tische
unruhig wartenden Mädchen zu Beginn des vierten Aktes, der Irrsinnigen
als Königin im sechsten.
Veidt ist fast durchweg glänzend. Sein Erwachen aus dem Schlaf, die Prophezeiung,
wie er die Gartenmauer entlang schleicht, den Berg emporkeucht, das ist überaus
eindrucksvoll, und wer den Künstler in so schwachen Leistungen wie "Prostitution"
und "Wahnsinn" gesehen hat und nun mit der im "Reigen" (Oswald-Lichtspiele),
und der jetzigen vergleicht, stellt [p. 698:] mit Vergnügen eine
Entwicklung zum Guten, ja künstlerisch Bedeutsamen fest.
Der Regisseur dieses Films aber, Robert Wiene, sei bedankt, daß er durch
seine mutige Tat den Wenigen Recht gegeben hat, die nach so vielen Enttäuschungen
noch immer nicht von dem ehrlichen Glauben an die künstlerischen Entwicklungsmöglichkeiten
des Films lassen wollten. Ein Versuch wie dieser rechtfertigt wieder auf Monate
hinaus, daß man den Film auch in seinen Zerrbildern immer wieder ernst
zu nehmen bestrebt ist.
Christian Flüggen
Das Kabinet des Dr. Caligari
Wie man sich auch zu dem Film, den man in den Kammerlichtspielen und im Lichtschauspielhaus
sah, stellen mag, eines muß ihm zugestanden werden: Es ist mal was anderes!
Der Expressionismus, -- meinetwegen Dadaismus -- bisher Vorrecht der Sprechbühne,
ist nun auch auf die Leinwand gesprungen und treibt dort sein eigenartiges Spiel.
In unruhvollen Zeiten, die Tatkraft und Tat erfordern, ist das menschliche Gemüt
nur zu leicht geneigt, dem Glauben an das Wunderbare sich hinzugeben. Kometen,
Weltuntergang, Prophezeihungen, -- nie sind sie mehr in Schwung, als wenn grausame
Wirklichkeit auf den Menschen lastet. Dieser Hang zum Wunderbaren und Phantastischen
hat von je Widerhall auf der Bühne, die ja das Spiegelbild des Lebens ist,
gefunden. Das Außergewöhnliche, Spukhafte, Grausige begegnet uns
auch in dem neuen Decla-Film. "Das Kabinett des Dr. Caligari" zeigt
uns die Fieberphantasien eines Geisteskranken. Um die Sache ausdrucksvoll zu
machen, werden diese Irrgänge eines menschlichen Hirnes expressionistisch
vorgeführt, das heißt Logik, Statik, kurzum alle Gesetze der Dinge
im Raum sind über Bord geworfen und es bleibt ein Kunterbunt, in dem die
Menschen, die sich nun einmal noch immer nicht den Kopf zwischen die Arme nehmen
oder die zwei Arme an eine Seite setzen können, geradezu altmodisch ausnehmen.
Daß der Film trotz alledem stark interessiert, spricht für die ungeheuer
reichen Darstellungsmöglichkeiten, die dieser Kunst eigen. Und spricht
auch für die hohe künstlerische Leistungsfähigkeit der Decla,
die die schwierige Aufgabe restlos löste und die verwegenen Sujets, der
Saal in einer Irrenanstalt, Flucht über die Dächer usw. in packenden
Bildern auf die Leinwand brachte. Unter den Darstellern seien genannt Lisl Dagover,
Konrad Veidt und Werner Kraus, der ganz besonders gut charakterisiert.
Alexander Beßmertny
Ein expressionistischer Film
"Das Cabinett des Doktor Caligari".
Von Karl Meyer und Hans Janowitz. Regie Robert Wiene.
I
Was heißt hier (und wo anders) expressionistisch? -- -- Eindeutig nur,
daß keine realistischen Dekorationen verwandt werden, -- -- So etwas kannte
man und nannte es früher "stilisiert" und anders.
Aber auf das Seelische des Produkts angewandt, bedeutet "expressionistisch"
hier, daß es sich um einen Film der Linie handelt, die mit dem "Golem"
und dem "Studenten von Prag" begonnen hat.
Die Verfasser aber vermuten, scheints, gerade hier im Meta-Vernünftigen
das Expressionistische. Eine Geschichte unter Verrückten aber ist noch
kein aus dem Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche transponiertes Ereignen.
II
Ein Irrer erzählt einem anderen eine Geschichte von sich, vom Anstaltsdirektor,
von einem Somnambulen, einem Mädchen. Die Fabel ist gewöhnlich. Die
Linie der Herkunft E.T.A. Hoffmann-Poe nur am Objekt, nicht an der Gestaltung
zu spüren. Die Handlung ist dürftig. Der Direktor einer Irrenanstalt
liest in einem alten Buch von einem Dr. Caligari, der einen Somnambulen zur
Ausführung von Verbrechen benutzt hat. Als ein Somnambuler in die Irrenanstalt
eingeliefert wird, versucht der Anstaltsdirektor mit ihm die gleichen Experimente,
die der Dr. Caligari vor Jahrhunderten gemacht hat. Dies hätte die Möglichkeit
gegeben, Bewußtseinsspaltungen am Somnambulen bildhaft zu machen und zu
zeigen, wie er als Verbrecher tätig wird und doch gleichzeitig in seinem
somnambulen Schlafe verharrt. Dies wäre für den Film eine neue, außerordentlich
wichtige und ausbeutungsfähige Möglichkeit gewesen. Aber die Verfasser
des Manuskripts brauchen nur den billigen Trick, den Dr. Caligari seinen Somnambulen
während seiner nächtlichen Streifzüge durch eine Puppe von gleichem
Aussehen ersetzen zu lassen. -- -- Was also filmmäßig ein Problem
wäre, ist filmungemäß als Detektivroman gestellt. Der Film-Vorwurf
des Manuskripts enthält nichts, aber auch gar nichts Bemerkenswertes.
[p. 137:] III
Die Regie aber bedeutet einen Anfang zu neuen Möglichkeiten. Da sind Bühnenbilder
von unwirklicher Phantastik mit schiefen Wänden, verschnörkelten Straßen,
karikierten Büros und einem Irrenhaussaal, wie ihn sich ein Irrer nur wünschen
kann. Und das ist das entscheidend Wichtige, daß hier zuerst im Film nicht
die romantische Tatsächlichkeit der Landschaft, sondern die romantische
Unwirklichkeit, die Erfindung des Bühnendekorateurs die filmgemäße
Wirklichkeit der Umgebung zu schaffen versucht, d.h. die wirkliche Welt der
handelnden Personen, die eine andere ist, als die jedes anderen Menschen. --
-- Dieser Regie-Auftakt bedeutet den Beginn einer Sublimierung, die den fertigen
Film als psychische Einheit zu sehen versucht. Das Wesentliche ist dabei die
Abstellung auf den Gesichtspunkt, der im Psychischen der Spiel-Personen die
Stileinheit nach eben diesem psychischen Charakter verwirklicht.
Die zur Einheit mit den Personen gesteigerte Umgebung dieser Personen erfordert
von den Schauspielern die Steigerung ihres Seins in die Einheit der zu ideal
gedachten Personen geschaffenen Umgebung.
IV
Die erhöhten Anforderungen solcher Darstellung wurden von den Schauspielern
in dem Film, der Anlaß zu diesen Bemerkungen gibt, mit wenig Ausnahmen
nicht gesehen. -- Der Held war einer jener Feld-, Wald- und Wiesen-Verrückten,
die da meinen, stierer Blick, "glubsche" Augen genügten. Der
Verrückte aber muß als aus der bürgerlichen Welt Entrückter
dargetan werden. Diesen Schauspielern gelingt es immer nur, die bürgerliche
Angst vor dem Irrenhaus zu spielen, was nicht irgendwie eine schauspielerische
Leistung zu sein scheint. -- -- Die verrückte Dame war eine brave Ophelia.
-- -- Eigenmächtig aber und auf dem Niveau ihrer Umgebung sind Werner Krauß
als Dr. Caligari und Conrad Veidt als der Somnambule. -- --
Da ist eine Szene, wie dem Irrenarzt überall das Wort erscheint. -- "Du
sollst Caligari werden" --. Wenn auch die technische Möglichkeit solcher
Halluzinationsvorführungen filmmäßig gegeben ist, so bleibt
das Hineinspielen des Arztes in den Caligari Privatverdienst des Schauspielers.
Am eindrücklichsten bleibt wohl der Somnambule. Hier mit wenig Bewegung,
aber der ideellen Einheit dieses Films gemäß, ist das Vorbild filmgemäßer
Darstellung bei filmgemäßer Regie gegeben. -- --
V
Das Inszenierungsproblem, gelöst bei einer Regie, die der ideellen Haltung
der Personen gemäß ist, kompliziert die Darstellung, weil sie vom
Spieler Überwindung seiner Zufälligkeiten als Privatperson fordert.
Der Zwiespalt von Szene und Mensch wird gerade beim Versagen des Menschen im
vollendet Szenischen am peinlichsten evident. Darum wird dieser sogenannte expressionistische
Film zur Bereinigung der Leinwand von unvermögenden Darstellern beitragen.
Anne Perlmann
Das Kabinett des Dr. Caligari
Declafilm
Pressevorführung in den Schadow-Lichtspielen
Mit dem Caligari-Film ging es mir -- und wohl auch manchen anderen -- wie zuerst
mit dem Einsteinschen Relativitätsprinzip: je mehr die Zeitungen darüber
schreiben, desto weniger klärte sich meine Vorstellung davon; man muß
eben Caligari sehen! Und endlich ist er da -- endlich, dabei denke ich nicht
nur daran, daß Berlin uns Provinzlern um nahezu 200 Vorführungen
voraus ist, sondern endlich, nachdem man sich lange nicht bewußt schien,
daß das Lichtbild im Bilde wurzelt, endlich also haben wir ihn, den expressionistischen
Film. Aus einem in absichtlicher Unlogik gehaltenen Manuskripte, das ein mittelmäßiger
Regisseur bestenfalls in eine halbwissenschaftliche Psychopathentragödie
oder ein kassenfüllendes Kriminaldrama gewandelt hätte, hat Film-Reinhardt
Wiene einen nervenpeitschend-bizarren Bildertaumel geschaffen -- ebenbürtig
den Phantasiegebilden von Poe, Hoffmann, Meyringk. In den Dienst seiner Idee
stellte sich das Malertrio Warm-Roimann-Röhrig; sie belebten den toten
Rahmenzu versinnbildlichter Situation im Stile Lyonel Feiningers, mieden aber
jede Uebertreibung, die lächerlich wirken könnte. Wichtiger Faktor
zum Gelingen war die Photographie Willy Hameisters, der Vorzügliches vor
allem in den Ueberblendungen leistete. Viel schwieriger als mit dem toten Material
ließ sich die Stilisierungsidee in der Darstellung durchführen; denn
der natürliche Mensch paßt am wenigsten in das durchgeistigte, vom
Wirklichen befreite Bild (ich empfand störend die pausbäckigen Kinder
und flotten Backfische in der romantisch expressionistischen Landschaft der
Jahrmarktszene). Aber auch bei diesem spröden Elemente konnte Wiene der
Idee, so weit eben möglich, gerecht werden; denn ihm standen Künstler
zur Verfügung! Werner Krauß bezwang vollkommen den Stil, in jeder
Geste von meisterhafter Dämonie; Conrad Veidt -- Cesare -- gespenstisches
Grauen eines gefolterten Hirns gestaltend -- ganz in seinem Elemente! Wer wurde
nicht mitgerissen in den Taumel der grinsenden Forderung, Caligari zu werden!
Wer könnte die Erweckung des Immerschlafenden -- sein fast entmaterialisiertes
Schreiten zum Mord und den unvergleichlich grausigen Raub der Jane vergessen.
Von den übrigen Darstellern gelang die Einfühlung in den Stil am besten
dem jungen Hanns Heinz Twardowsky, dessen melancholische Anmut uns bewegte;
Fehars realistisch pathologisches Spiel hatte einige packende Momente; traumhaft
schön war Lil Dagovers blasses Schweben. Und dann -- in der wirklichen
Helle der Straße umwirbelten mich unzählige Bilder -- ja, war ich
denn wahnsinnig -- expressionistische Tanztees -- Henny Portens lieblich runde
Realistik in schiefwinkligen Zimmern -- zuckerhutförmig das Haus des Kommerzienrats
-- die Flut der Nachahmungen -- der expressionistische Kitsch, der uns, allen
Aufklärungskitsch übertrumpfend, droht -- -- Halluzinationspsychose
war’s nur! Wird es leider freilich nicht bleiben -- und doch: dies Kunstwerk,
das einzigartig bleiben müßte, aber vor Nachahmung ja nicht geschützt
werden kann, ist so wertvoll, daß ich mit allen, die an eine Filmkunst
glauben, Wiene und seinen Mitarbeitern recht von Herzen danken möchte!
Dr. J.B. [J. Brandt]
Expressionismus im Film
Die neue Kunst im Film
Der Film ist keine malerische Kunst, ebensowenig wie eine rein dramatische.
Er ist mit beiden in gewissem Sinne verwandt, hat mit beiden gemeinsame Elemente,
aber sein Wesen liegt auf einer anderen Linie. Dennoch bedingt die an einigen
Punkten unverkennbare Berührung eine wertvolle Befruchtung.
Zuerst drängte man den Film, seine Grundlagen verkennend, nach dem Theater
und führte ihn dadurch einen falschen Weg, denn je mehr er sich dem Theater
nähert, desto mehr verliert er seine Selbständigkeit und erhält
den Charakter eines minderen Surrogates. Die Filmoper ebenso wie die vielen
Versuche mit dem sprechenden Film waren daher nicht Fortschritte, sondern Abwege.
-- -- --
Nicht minder verhängisvoll ist die Auffassung des Filmes als bloß
bewegtes Bild, also das absolute Hervorheben des Malerischen. Dadurch geht ihm
wieder ein Grundelement verloren: das dramatische. Malerei ist Ruhe, der Film
aber ist fortschreitende Handlung, Malerei ist künstlerisches Ergebnis
einer Absicht, der Film fortlaufende Entwicklung eines dichterischen Gedankens.
-- -- --
Das Richtige liegt in der Mitte. Wenn der Film seine eigene Linie bewahren will,
darf er sich nach keiner Seite wenden, muß aber Anregungen von allen Seiten
suchen und sie für seine Zwecke umwerten.
Das Bildnerische, das in der ersten Zeit völlig unbeachtet blieb, gewinnt
nunmehr immer größeren Einfluß. Zuerst begann man der bis dahin
arg vernachlässigten Raumkunst die ihr gebührende Bedeutung beizumessen,
und heute sind bereits die hervorragendsten Raumkünstler beim Film heimisch
geworden.
Die bildmäßige Gestaltung der einzelnen Szene in ihrer Gesamtwirkung
war ein weiterer Schritt, und wir haben eine ganze Anzahl von erfolgreichen
Regisseuren, bei denen der dramatische Aufbau mit dem malerischen Hand in Hand
geht. Für den künstlerischen Werdegang des Films war dies ein weiterer
wesentlicher Schritt nach aufwärts.
-- -- --
Bei den mannigfachen Versuchen der letzten Zeit, das Erreichte weiter auszubauen
und nach neuen gangbaren Wegen zu suchen, war das Eindringen der modernsten
Kunstrichtung nur eine Frage der Zeit. Nun ist auch dieser Schritt bereits getan,
und wieder einmal eröffnen sich für die Zukunft Aussichten von ungeahnter
Entwicklungsmöglichkeit. Der Expressionismus hat seinen Einzug in die Filmkunst
gehalten.
-- -- --
Im Decla-Atelier in Weißensee reift der erste erfolgversprechende Versuch
seiner Vollendung entgegen.
Das Abrücken vom billigen Tageserfolg, das Streben nach künstlerischen
und kulturellen Werten war bei diesem ernst und ruhig arbeitenden Konzern seit
jeher das Grundprinzip. Nun ist zu den Herren Pommer und Sternheim, die mit
zielbewußter Energie die bisherigen Grundlagen erreicht haben, ein neuer
Mann getreten, Rudolf Meinert, dem hier Gelegenheit gegeben wird, seine bisherigen
praktischen Erfahrungen mit großzügigen Mitteln in die Tat umzusetzen.
Es war eine Tat, unbekümmert um den späteren materiellen Erfolg oder
Mißerfolg, der Anregung Robert Wienes zu folgen und ihm als Regisseur
freie Hand für den künstlerisch hoch bedeutsamen Versuch des Expressionismus
im Film zu lassen. Man mag über das geschäftliche Ergebnis prophezeien,
wie man will, eines ist sicher: eine große künstlerische Absicht
ist hier im Werden, und letzten Endes hat noch immer der ernste, unbeugsame
Kunstwille seinen verdienten Lohn gefunden.
-- -- --
Der neue Decla-Film "Das Kabinett des Dr. Caligaris" von Hans Yanow
und Karl Mayer, bot dem Regisseur Robert Wiene die willkommene Gelegenheit für
einen lange gehegten Plan. Die spukhaft-skurrile Wahnsinnsphantasie, die Geschichte
dieses seltsamen Dr. Caligaris und der somnambulen Wachspuppe kam diesen Absichten
ganz außerordentlich entgegen. In den Malern Warm, Reimann und Röhrig
fand er schaffensfrohe, reich begabte Mitarbeiter, und die einzelnen Szenen,
die ich jüngst sehen konnte, lassen Ueberzeugendes von der Vollendung erwarten.
-- -- --
Bevor man einen Blick in diese neue Welt getan hat, ist man skeptisch. Man kann
sich die schiefen Linien, die Dreieck- und Viereckfiguren der modernen Malerei
nicht plastisch im Raume vorstellen, vermutet eine Verdoppelung des Unwahrscheinlichen.
Besonders befremdend in der Realität der Filmphotographie.
Aber der Eindruck verscheucht alle Zweifel. Ich sah zuerst eine Dachstube. Ein
tief überhängendes Dach. Ganz im Hintergrund ein Fenster mit willkürlich
schräge gekreuzten Fensterstangen, in der Ferne die Silhouette eines Daches
mit schiefen Rauchfängen. In der Stube ein ärmliches Bett und zwei
Stühle mit unendlich hohen Lehnen. Breitflächige Malerei liegt an
der Wand, greift über auf das Bettgestell. Die Einzelheiten sind absonderlich,
aber niemals habe ich in einer Dekoration den Eindruck der beklemmenden Oede,
der quälenden Einsamkeit so tief und unmittelbar empfunden wie hier.
Noch überwältigender in seiner Eigenart wirkte die winkelige Jahrmarktsbude
mit ihren tief hereingebauschten Sofitten und diesem Publikum, dessen spitze,
an das Biedermeier erinnernde Hüte seltsam aus der Masse herausragen. Niemand
kann sich diesem starken Eindruck entziehen, nicht einmal die unkompliziert
fühlenden Komparsen und Arbeiter, die doch solch neuer Kunst sicherlich
fremd gegenüberstehen.
-- -- --
In diese phantasiegeborene, unwirkliche Umwelt mußten nun die handelnden
Personen des Dramas gestellt, mußten diesem neuartigen Milieu erst angepaßt
und in ihm lebendig werden. Dabei war eine gefährliche Klippe zu umsegeln.
Denn die Dekorationen hätten sonst leicht den Eindruck erwecken können,
als wolle man dadurch die Wahnsinnsideen deutlich machen. Aber dieses Problem
ist mit künstlerischem Geschmack glücklich gelöst, indem auch
die tatsächliche Rahmengeschichte in ständiger Beziehung zu der szenischen
Gestaltung bleibt.
-- -- --
Es ist geradezu verblüffend, wie die Darsteller sich in diese Stimmungswelt
eingefühlt haben, wie sie aus dem Empfinden einer wahrhaft künstlerischen
Atmosphäre heraus sich ganz dem Grundstil gefangen geben.
Faszinierend die untersetzte Gestalt von Werner Krauß. Halb Striese und
halb E.T.A. Hoffmannsche Spukfigur. Alle seine Bewegungen, die seltsamen Gesten
der Arme und Hände, der schlurfende Gang, der Timbre seiner Stimme, entkeimen
dem Stil der Szene. Er ist nicht mehr Krauß, er ist Dr. Caligaris, wie
er leibt und lebt, nicht nur in den kurzen Zeiträumen der Aufnahme, sondern
in seinem ganzen Wesen, auch während der Pausen, im Gespräch.
Conrad Veidt, unheimlich grotesk, lang und hager in dem schwarzen Trikot, grell
geschminkt mit gespenstig tiefliegenden Augen, die Doppelfigur der Jahrmarktswachspuppe
und des Somnambulen, der nun Werkzeug des Verbrechens gilt. Friedrich Fehér
wirkt trotz der Realität der von ihm dargestellten Rolle dennoch mystisch
umdämmert in dem schwarzen Radmantel, mit dem Glühen des Wahnsinns
in den Augen. Lil Dagover mit künstlich gedrehten Hängelocken, ein
lebend gewordenes Bild von Sainsborough, H. H. von Twardowsky, abgezehrt und
traumverloren, der Leidende in einsamer Dachkammer.
-- -- --
Die Maler sind eifrig bei der Sache. In allem, was sie gestalten, in den großen
Umrissen wie in den kleinsten Einzelheiten, liegt ein bewußter künstlerischer
Wille. Selbst bei den befremdendsten Motiven hat man niemals den Eindruck des
Erklügelten, Konstruierten, sondern eines warmblütigen Schaffens aus
dem innersten Empfinden heraus.
Kaum jemals war ein Atelierbesuch so interessant, so neuartig und so anregend
wie dieser. Man darf auf das Ergebnis dieses Films wirklich gespannt sein; denn
er ist ein neuer Weg, ein Fortschreiten mit dem Blick nach aufwärts, ist
Pionierarbeit im Neuland und als solche eine Tat.
Anonymous
Expressionismus im Film
Das expressionistische Experiment, so schreibt die B.Z. am Mittag, greift jetzt auch auf den Film über. Die Franzosen haben als erste einen halben Schritt in dieser Richtung gemacht mit dem Film "J'accuse" (einer dem "Feuer" von Barbusse nachgebildeten Kriegsanklage), der ganz in linearer Stilisierung aufgenommen wurde. Ein neuer Decla-Film, der jetzt hier unter der Regie von Dr. Robert Wiene aufgenommen wird, "Das Kabinett des Dr. Caligari" (von Karl Meyer) geht nun bis ans Ziel. Indem alle Dekorationen im expressionistischen Illustrationsstil (von den Malern Warm, Reimann und Köricht) entworfen sind. Diesen Dekorationen muß sich natürlich das Spiel der Darsteller (u.a. Werner Krauß, Veidt, Feher, Twardowski, Lil Dagover) anpassen. Bei den Proben hat man den Eindruck, daß eine bemerkenswerte Konzentration und Vertiefung der Stimmung und ein wesentlicher illustrativer Reiz auf diesem Wege gewonnen scheint. (Das Thema des Films, eine krankhaft somnambule Geschichte, kommt der Phantastik des Stiles allerdings entgegen.) Immerhin darf man auf die Leinwand-Wirkung dieses Experiments gespannt sein.
Wbg. [Hans Wollenberg]
Expressionismus im Film
Der von der "Decla" vorbereitete Film "Das Kabinett des Dr. Kaligari"
soll bekanntlich der erste expressionistische Film werden. So bietet denn das
Atelier draußen in Weißensee, wo unter Leitung von Herrn Dr. Wiene
die Aufnahmen gemacht werden, gegenwärtig einen recht seltsamen Anblick.
Im Hintergrund eine expressionistische Stadt, zuckerhutartig himmelansteigend,
mit Häusern, die sich vor Leibweh krümmen. Vorn ein "Rummel"
mit windschiefen Karussels und stark kontrastierenden Farben. Zweifellos ein
interessantes Experiment. Für den Film, der ja allein auf Wirkung durch
das Bild beschränkt ist, liegen vielleicht in der Verwertung expressionistischer
Formen mit ihrer übersteigerten und konzentrierten Ausdrucksweise, große
Möglichkeiten.
Aros [Alfred Rosenthal]
Der expressionistische Film
Wir haben das stilisierte Bild, wir haben die stilisierte Bühne und sollen
jetzt den stilisierten Film bekommen. Was Ernst Lubitsch in seiner Puppe leise
andeutete, die Möglichkeit, die die Wegenerfilme ahnen ließen, werden
in einem Film von Karl Mayer und Hans Jannowitz jetzt restlos durchgeführt.
Ein junger expressionistischer Künstler, Walter Reimann, hat die gesamte
Architektur dieses Bildes nach expressionistischen Grundsätzen geschaffen.
Straßen, Häuser, Zimmer, Beleuchtung; alles wirkt etwa so, wie wir
es in hypermodernen Ausstellungen auf den Bildern sehen.
Das ist ein Versuch, der weit über die Kreise der Filmleute hinaus Beachtung
finden muß. Das ist vielleicht eine Probe auf die Berechtigung dieser
Kunstrichtung überhaupt.
Das Manuskript kommt diesem Versuch durch seine Phantastik besonders entgegen,
obwohl es nicht von vornherein für den Sonderzweck zugeschnitten war.
Wenn man die Auslegung gelten lassen will, daß Expressionismus nichts
weiter bedeutet als Steigerung des Ausdrucks, so könnte vielleicht hier
für das lebende Bild der Anfang einer ähnlichen revolutionären
Umwälzung sein, wie wir sie bei dem Schauspiel erlebten, als man von der
realistischen Dekoration zur Vorhangbühne überging. Man wird auf die
Erstaufführung des "Dr. Caligari" besonders gespannt sein dürfen.
Claus Groth [Julius Sternheim]
Du mußt Caligari werden
Vor einigen Wochen tauchte in Berlin ein neues Schlagwort auf: "Du mußt
Caligari werden". Von den Anschlagsäulen, in der Untergrundbahn, in
den großen Cafés, von überallher rief es einem in grellen
Farben an, und der Ruf pflanzte sich fort. In den Nachtbars und Klubs, auf der
Straße sprachen Freunde und Bekannte uns mit dem kategorischen Imperativ
an, ohne daß ein Mensch gewußt hätte, was diese Worte eigentlich
bedeuten. Als kürzlich aber gar jemand behauptete, er sei bereits Caligari,
beschloß ich der Bedeutung der Worte auf den Grund zu gehen, denn schließlich
muß man doch den Ursprung geflügelter Worte wissen. In den Declaateliers
in Weißensee fand ich dann die Spur. Der graubärtige Cerberus an
der Tür erklärte mir, der Weg zu Caligari führe nur über
seine Leiche. "Du sollst nicht töten", dachte ich und schlich
mich durch die Hintertür ins Atelier, wo ich von dem Regisseur Robert Wiene
erst mißtrauisch, als ich mich jedoch als Pressevertreter legitimierte,
äußerst liebenswürdig empfangen wurde. Dadurch ermutigt und
um meine Unwissenheit nach Möglichkeit zu verbergen, begann ich mein Interview
mit der Frage: "Sind Sie auch schon Caligari?", worauf er stutzte
und bejahen zu wollen schien, dann schüttelte er aber energisch den Kopf
und sagte: "Gott sei Dank noch nicht, [p. 3:] aber sicherlich,
wenn der Film fertig ist, und Caligari? -- -- Da hören Sie, wie er brüllt."
Im gleichen Moment erhob sich ein ohrenbetäubender Lärm und erschreckt
und neugierig lief ich dem Regisseur Robert Wiene nach, der auf den Lärm
hin auf seinen Posten zurückeilte. Ich kam noch rechtzeitig, um zu sehen,
wie er zu meinem Erstaunen Werner Krauß in der vorzüglichen Maske
eines Gelehrten in die Zwangsjacke stecken ließ, während Fritz Fehér
mit geradezu satanischem Grinsen die Prozedur verfolgte. Er hatte aber zu früh
gelacht, denn schon 5 Minuten später war ich Zeuge, wie Wiene Werner Krauß
-- er war der Dr. Caligari -- befreien ließ, um nun Fehér selbst
in dieses so gut in die heutige Zeit passende Kleidungsstück hineinzustecken.
Das alles war so aufregend und spielte sich so blitzschnell ab, daß ich
in den Bann des ominösen Imperativs geriet und fühlte, hier muß
man Caligari werden. In der auf diese Szene folgenden Pause machte mich Rudolf
Meinert, der Leiter der Declafabrikationsabteilung mit den übrigen Mitarbeitern
des Films bekannt. Conrad Veidt in der Maske eines Somnambulen (Cesare) hätte
ich in der Tat nicht wiedererkannt und auch Lil Dagover machte zuerst derart
weltferne Augen, daß ich sie nur an ihrem reizenden Lächeln wiedererkannte,
mit dem sie mich als alten Freund begrüßte. Jetzt wußte ich
mit einem Male: dies mußte der expressionistische Film sein, von dem sie
mir vor Wochen bereits vorgeschwärmt hatte. Expressionistischer Film? --
Wie mans [p. 4:] nehmen will, fiel der Regisseur Robert Wiene mir ins
Wort und präsentiert mir gleichzeitig seine künstlerischen Mitarbeiter,
die Kunstmaler Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig, die sich
alle drei zu gleicher Zeit räusperten. Ich übersetzte mir dieses Räuspern
sofort richtig und bat um Entschuldigung und Aufklärung und ließ
mir von jedem der Herren einen Vortrag halten über Kunst im Allgemeinen,
dann Expressionismus in der Kunst überhaupt, und im Film im Besonderen.
Ich wurde herumgeführt, ließ mir erklären und mich belehren,
und möchte den Herren auf diesem Wege für die äußerst anregende
halbe Stunde, die mich den Ernst und die künstlerische Gewissenhaftigkeit,
mit der hier von allen Seiten unter Wienes Regie gearbeitet wurde, erkennen
und bewundern ließen, meinen Dank abstatten.
Die Quintessenz der Ausführungen, die viele künstlerische Wahrheiten
enthielten, will ich hier kurz wiedergeben.
Der "expressionistische Film" ist ein Schlagwort, eine nach Sensation
haschende Phrase, meinte der Maler Reimann. Es gibt keinen expressionistischen
Film, sondern der Expressionismus ist -- filmtechnisch gesprochen -- die rythmische
Steigerung des dramatischen Gedankens im Manuskript, nicht mehr auf der bisher
allgemein angewandten naturalistischen Basis, sondern auf der rein künstlerischen
Empfindung aufgebaut. Und diese wieder findet notwendigerweise im Expressionismus
ihren allein gültigen und allerstärksten Ausdruck.
Die rein geistige Durcharbeitung des Manuskriptes, das unbedingte Erfassen der
vom Autor gesehenen und erfühlten Situation, denen das gesprochene Wort
nicht zu Hilfe kommen kann, ist es, was dem Expressionismus den Weg zum Film
und wie ich hoffe, den auch allgemein zur freien Kunst ebnen wird, denn manch
einer, dem "Expressionismus" bisher nichts war als ein leeres Wort,
wird an diesen Bildern erkennen und ohne es zu ahnen, lernen, wie der Expressionismus
der jeweiligen bildlich dargestellten Situation die gewollte Stimmung einimpft
und den Beschauer beispielsweise zwingt, einen Zwischentitel bewußt so
und mit der Betonung zu lesen, wie ihn der Schauspieler auf der Bühne
gesprochen hätte. Diese Suggestion, die die häufige Lächerlichkeit
der Titel unterbindet, muß eben aus dem Bilde herausgeschaffen werden
und nicht, wie es letzthin versucht wurde, durch eine allegorische Umrahmung
der Titelschrift, die das Publikum von der Handlung des Films abzieht und auch
beim Nachlesen der Titel irritiert und stört.
Diese letzte Ausführung von Hermann Warm, der schon längere Zeit bei
der Decla künstlerisch tätig ist, war mir besonders interessant und
fand, als ich den Film [p. 5:] dann in der Vorführung sehen durfte,
vollauf Bestätigung. Walter Röhrig präzisiert diese Idee äußerst
plastisch in dem Satz "Das Filmkunstwerk muß eine lebende Graphik
werden". Hierauf führt auch die mitunter außerordentlich stark
sichtbare Flächen-Linien und Tonauflösung der einzelnen Bilder zurück,
d.i. eben die expressionistisch-originelle Form der Malerei, sie ist, wie die
Herren einstimmig und zu Recht betonten, keine sensationelle Absicht, sondern
notwendig begründet in der Idee eines Manuskriptes. --
Daß dieser Decla-Film infolge einer solchen künstlerischen Einheit
eine Sensation, wenn auch im allerbesten Sinne für das Publikum darstellen
wird, ist eine erfreuliche Tatsache, die ich nach den gewonnenen Eindrücken
unbedenklich konstatieren darf.
Von Carl Meyer wurden die demnächst bei der Decla erscheinenden Filme "Das Kabinett des Dr. Caligari" und "Das lachende Grauen" sowie "Die große Lüge" angekauft.
Der Film (Berlin) vol. 4, no. 41, 12 Oct 1919, p. 36Die Vorbereitungen für den neuen großen Decla-Film "Das Kabinett des Dr. Caligaris", Manuskript von Hans Yanow und Karl Mayer, sind beendet. Die Regie liegt in den Händen von Dr. Robert Wiene. Werner Krauß und Conrad Veidt sind für die Rollen des Dr. Caligaris und des Caesare gewonnen worden.
Film-Kurier (Berlin) vol. 2, no. 1, 01 Jan 1920,In dem 3. Film der Decla-Weltklasse "Das Cabinett des Dr. Caligari" von Karl Mayer und Hans Yanowitz hat Werner Krauß die Rolle des Dr. Caligari übernommen. [Der Film erregt schon heute durch die neuartige stilistische und regietechnische Behandlung in allen Interessenten- und auch Publikumkreisen außerordentliches Aufsehen.] Dr. Robert Wiene, der die Regie [unter der künstlerischen Oberleitung von Rudolf Meinert] führt, hat für diesen Film ein Ensemble zusammengestellt, wie man es künstlerischer wohl kaum finden dürfte. Neben Werner Krauß als Träger des Dr. Caligari wirkt Conrad Veidt in der Rolle eines Somnambulen. Fritz Fehér, Hans von Twardowski und Rudolf Lettinger vervollständigen das Ensemble auf die denkbar glücklichste Weise und Lil Dagover in der Rolle der Jane Olfens ist die Trägerin der einzigen weiblichen Rolle.
Film-Kurier (Berlin) vol. 2, no. 7, 09 Jan 1920, p. 3,Direktor Rudolf Meinert von der Decla-Film-Gesellschaft bittet uns mitzuteilen, daß die in unserem Blatte gebrachte Notiz über den dritten Film der Decla-Weltklasse "Das Kabinett des Dr. Kaligaris" insofern nicht den Tatsachen entspricht, als nicht er selbst die künstlerische Oberleitung in diesem Film führt, sondern daß Herr Dr. Robert Wiene diesen außerordentlichen Film in jeder Beziehung völlig selbständig arbeitet, somit auch alleinigen Anspruch auf die künstlerische Leitung dieses Films zu machen hat. (Wir begrüßen diese Äußerung des Herrn Meinert auf das Symphatischste, da er mit diesen Zeilen als erster dazu beiträgt, dem Verdienst seine Krone werden zu lassen, und es ablehnt, die Früchte der Arbeit Anderer für sich zu beanspruchen, wie dies durch ähnliche Verklausulierungen anderweitig schon wiederholt geschehen ist. D. Red.)
Film-Kurier (Berlin) vol. 2, no. 9, 11 Jan 1920, p. 3.Für die [überaus schwierige] Rolle des Francis in dem dritten Film der Decla-Weltklasse "Das Kabinett des Dr. Kaligari" von Karl Mayer und Hans Janowitz wurde der [best]bekannte Schauspieler Fritz Fehér gewonnen. Die Innenausstattung wurde dem Kunstmaler Hermann Warm in Gemeinschaft mit den Kunstmalern W. Reimann und Fritz Röhrig übertragen. Die Photographie stammt von Willi Hameister, die Regie liegt in den Händen von Dr. Robert Wiene.
Lichtbild-Bühne (Berlin) vol. 13, no. 3, 17 Jan 1920, p. 22,Die Aufnahmen zu dem dritten Film der Decla-Weltklasse "Das Kabinett des Dr. Kaligari", Manuskript von Karl Mayer und Hans Janowitz, neigen sich ihrem Ende entgegen. Die Regie führt Dr. Robert Wiene. Lil Dagover kreiert die Rolle der Jane.
Lichtbild-Bühne (Berlin) vol. 13, no. 4, 24 Jan 1920, p. 29,Die Aufnahmen zu dem dritten Film der Decla-Weltklasse "Das Cabinett des Dr. Caligari" (Manuskript von Carl Mayer und Hans Janowitz) sind unter [der] Regie von Robert Wiene fertiggestellt. Der Film ist in Kürze vorführungsbereit. Die männlichen Hauptrollen werden von Werner Krauß (Dr. Caligari), Conrad Veidt (ein Somnambuler), Fritz Fehér (Francis), Hans von Twardowski und Rudolf Lettinger dargestellt. Die Rolle der Jane wird von Lil Dagover verkörpert. Die gesamte Ausstattung und Dekoration liegt in den Händen der Kunstmaler Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig, die Photographie besorgte Willi Hameister. [Der Film wird durch seine neuartige Auffassung in regietechnischer wie in dekorativer Hinsicht und durch das ganz eigenartige Thema Aufsehen erregen.]
Film-Kurier (Berlin) vol. 2, no. 30, 05 Feb 1920, p. 3,Das Kabinett des Dr. Caligari. In Ergänzung unserer Besprechung in der vorigen Nummer des "Film" stellen wir noch fest, daß die hervorragende Photographie von Willy Hameister stammte.
Der Film (Berlin) vol. 5, no. 10, 06 Mar 1920, p. 50.Du mußt Caligari werden! Der große expressionistische Film "Das Kabinett des Dr. Caligari", der vier Wochen ohne Unterbrechung im "Marmorhaus" gespielt wurde, ist ab heute nochmals in den Spielplan aufgenommen. Die Direktion ist zu dieser Wiederholung durch Hunderte von Zuschriften und Anfragen seitens des Publikums, das diesen sensationellen Film noch einmal zu sehen wünscht, angeregt worden. -- Eine nochmalige Wiederholung ist wegen anderer kontraktlicher Verpflichtungen nicht möglich.
Film-Kurier (Berlin) vol. 2, no. 78, 16 Apr 1920, p. 3."Das Kabinett des Dr. Caligari", das 4 Wochen ohne Unterbrechung im Marmorhaus gespielt wurde, ist seit Donnerstag, den 15. April 1920 wieder auf dem Spielplan. Die Direktion ist zu dieser Wiederholung durch Hunderte von Zuschriften und Anfragen seitens des Publikums, das diesen sensationellen Film noch einmal zu sehen wünscht, angeregt worden. Eine nochmalige Wiederholung ist wegen anderer kontraktlicher Verpflichtungen nicht möglich.
Lichtbild-Bühne (Berlin) vol. 13, no. 16, 17 Apr 1920, p. 21.Decla-Bioscop. Der expressionistische Film "Das Kabinet des Dr. Caligari" läuft erneut im "Marmorhaus". Die Firma ist außerstande, die zahllosen Anfragen nach Terminen und Theatern, in denen der Film vorgeführt wird, direkt zu beantworten.
Der Kinematograph (Düsseldorf) vol. 14, no. 692/93, 25 Apr 1920.Das "Kabinett des Dr. Caligari" wird auch nach der 150. Aufführung im Marmorhaus bei ausverkauftem Hause gezeigt.
Film-Kurier (Berlin) vol. 2, no. 92, 04 May 1920, p. 2.Die öffentliche Erstaufführung des Decla-Bioscop-Films "Das Kabinett des Dr. Caligari" in Frankreich, hat nunmehr unter ausdrücklichem Hinweis auf seinen deutschen Ursprung am 3. März in dem Cinéma de l'Opéra in Paris mit großem Erfolg stattgefunden.
Der Kinematograph (Düsseldorf) vol. 16, no. 787, 19 Mar 1922.
The Decla film company put advertisements into the film trade press which consisted
of two mysterious motifs featuring the famous line "Du musst Caligari werden"
(You must become Caligari).
(Here taken from the covers of Der Kinematograph (Düsseldorf) vol. 14,
no. 682, 04 Feb 1920 (hands motif) and no. 685, 25 Feb 1920 (vortex motif))
1922 | Le Cabinet du Docteur Caligari Novel by Georges Spitzmuller Along with the film's release in France, this "ciné-roman fantastique" based on the film was published, in French language. |
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1925 | Le Cabinet du Docteur Caligari Stage-play France, Théâtre du Grand-Guignol, Paris Bloodcurdling horror plays and psychological abnormalities were the specialities of the Grand-Guignol, a forerunner of the splatter film. The play was written by André de Lorde and Henri Bauche, directed by Camille Choisy, and newly produced in 1951. |
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1962 | The Cabinet of Caligari Film USA, Roger Kay Written by Robert Bloch (Psycho), this is the only official remake of Caligari (the producers obtained the rights from the Decla-Bioscop's legal successor, UFA). Glynis Johns as Jane (who replaces Franzis as protagonist), a woman cured from a sexual complex via shock treatment by psychiatrist Caligari (Dan O'Herlihy). |
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1980 | Das Kabinett des Dr. Caligari Stage-play Germany, Freiburger Kammertheater Directed by Carlos Trafic, this play starred Moc Thyssen as Caligari and Hans Schwab as Cesare. |
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1981 | The Alchemical Caligari Stage-play USA, New York By Michael Kirby. |
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1983 | Het Cabinet van Dr. Caligari Stage-play NL, Amsterdam The Yorkshire Actors performed in this Dutch production. |
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1987 | The Cabinet of Dr. Caligari Stage-play USA, La Mama E.T.C., New York Another New York stage production, this time adapted and directed by Susan Mosakowski, and performed by the experimental theater company Creation. A critic wrote that "the actors who played the Doctor and his somnambulist could have won look-alike contests for Werner Krauss and Conrad Veidt". |
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1989 | Dr. Caligari Film USA, Stephen Sayadian Loosely based on the original, Stephen Sayadian's late 1980s effort is a mixture of surrealism and porn, starring Madeleine Reynal as Dr. Caligari, also Fox Harris and Laura Albert. |
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1992 | The Cabinet of Dr. Caligari Comic book by Ian Carney & Mike Hoffman A three part comic book adaptation of the film, published by Monster Comics. |
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1995 | Das Cabinet des Dr. Caligari Photo story by Karl Lagerfeld Fashion designer and photographer Lagerfeld shot the Caligari story anew for his book Faust. In twenty-one atmospheric coloured bw photos, Nadja Auermann stars as Jane, with Adnan Taletovic as Cesare, Caligari and Francis, and Julien D'ys as Alan. |
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1997 | The Cabinet of Dr. Caligari Stage-play USA, A.R.T. (American Repertory Theatre), Cambridge, Mass. Large-scale stage production mixing the film's motifs with the tradition of the Grand-Guignol, composed by John Moran, directed by Bob McGrath, and starring Alvin Epstein as Dr. Caligari. After each performance, the original film was screened in the lobby, with live piano accompaniment by professor Martin Marks. |
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1998 | The Cabinet of Dr. Caligari Audio drama by Yuri Rasovsky Inspired by the film, Rasovsky wrote, produced, and directed this audio drama featuring John de Lancie (of Star Trek fame, and also an experienced audio performer), Jane Carr, Robertson Dean, Kaitlin Hopkins, and others. Published on audio cassette and CD. |
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1999 | Batman: Nosferatu Comic book by Ted McKeever & Randy & Jean-Marc Lofficier DC Comics' one-shot "Elseworlds" adventure combines the two dark worlds of Caligari and Batman, with lots of references to both DC comics and German silent films. Who's mad, the villain or the hero, in "The Cabinet of Dr. Arkham"? |
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2001 | Das Cabinet des Doktor Caligari Stage-play Germany, Wolfgang Sréter & Toni Matheis & Raymund Huber, Landshut A new Caligari musical premieres at the Südostbayerisches Städtetheater Landshut in February 2001, directed by Johannes Reitmeier, starring Dieter Fischer (Dr. Caligari), Matthias Friedrich (Cesare), Kerstin Gandler (Jane), Alexander Braunshör (Francis), Thorsten Danner (Alan) and Jochen Decker (superintendent). |
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2001 | The Cabinet of Dr. Caligari Stage-play USA, Richard Lawton & Douglas Hicton, New York Another new Caligari musical premieres at the 2nd Annual Midtown International Theatre Festival in July 2001, produced by John Chatterton, written by Richard Lawton and Douglas Hicton, with music and lyrics by Douglas Hicton. |
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2002 | Doktor Caligari Stage-play Germany, Robert Wilson, Berlin Monstrous new version by acclaimed American theatre writer/director/producer Robert Wilson, with lots of references to silent films (Christian Grashof as Dr. Caligari looks like Max Schreck's Nosferatu, for instance). Premiere March 2002 at the Deutsches Theater, Berlin. |
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