METROPOLIS DVD-STUDIENFASSUNG METROPOLIS DVD STUDY EDITION Regional Code free, silent with musical score, b/w, approx. 145 mins, German intertitles, Universität der Künste Berlin, Filminstitut, released Feb 2006 Non-commercial edition which can only be obtained by educational and research facilities here. |
Abstract in English: Here comes the METROPOLIS Study Edition! This new edition allows for an in-depth analysis of the film, including its missing pieces. They become tangible through a thorough examination of source material such as the original score, or the script. Also, for the first time Huppertz' score is presented in full length. And, through appendices and archives, a wealth of source material is made available, a lot of which never published before, including photos, outlines, drawings, and a pdf facsimile of Thea von Harbou's original script.
Die METROPOLIS-Studienfassung ist da! Lange erträumt, ermöglicht diese neue DVD nun präzises Studium des Films und insbesondere auch der Inhalte seiner Fehlstellen auf der Höhe der aktuellen Forschung. Anders als bisherige Rekonstruktionen betont die neue Fassung den fragmentarischen Charakter des überlieferten Werks, einer heute üblichen Praxis der kunstwissenschaftlichen Restaurierung folgend, in der unvollständige Statuen oder Gemälde nicht mehr mit neuen Stücken ergänzt und komplettiert sondern als Torso erhalten werden. Gleichzeitig werden alle verfügbaren Informationen über die Fehlstellen so objektiv und unspekulativ wie möglich präsentiert, sodass sich jeder Betrachter ein eigenes Bild über den vermeintlichen Originalzustand des Werks machen kann.
METROPOLIS ist ein Film, den jeder zu kennen glaubt, selbst derjenige, der ihn noch nie gesehen hat. Gleichzeitig ist er ein Fragment, der berühmteste nicht vollständig erhaltene Film der Filmgeschichte. Bei der Premiere laut Zulassungskarte 4189 m lang, wurde er danach zerstückelt, gekürzt, neu montiert und in alle Teile der Welt zerstreut, und dann von Restauratoren wieder aufgestöbert, zusammengesucht und in immer neuen Rekonstruktionen zusammengesetzt. Untrennbar verbunden ist die Rekonstruktion dieses Films mit dem Lebenswerk Enno Patalas', jetzt Leiter des Projekts "DVD als Medium kritischer Filmeditionen" der Universität der Künste, Berlin, das die neue Studienfassung vorlegt.
Die letzte, zur Berlinale 2001 durch Martin Körber vorgelegte Rekonstruktion, war immerhin noch etwa 30 Min. kürzer als die Premierenfassung, die im Jahr 1927 nur für kurze Zeit in Berliner Kinos zu sehen war. Die Fehlstellen gelten als verloren. Dennoch befinden sich METROPOLIS-Forscher in einer günstigen Situation: Die Uraufführungs-Partitur von Gottfried Huppertz, eine der wichtigsten Quellen zum Film, ist vollständig erhalten, komplett mit Einsatzstichworten (so genannten Cues), die dem Dirigenten die Synchronisation von Musik und Bild erleichtern sollten und Bildinhalte des Films beschreiben. Diese Partitur ist nicht nur ein unersetzliches Hilfsmittel bei der Rekonstruktion des Films, sie erlaubt auch Auffinden und Beschreiben der Fehlstellen. So wissen wir heute sehr genau, welche Stellen in METROPOLIS fehlen, und dank weiterer Quellen wie Zensurkarte und Drehbuch können wir diese auch sehr genau beschreiben.
Und genau dies tut die Studienfassung mit philologischer Gründlichkeit und in gut durchdachter Ausnutzung des Mediums DVD: Auf einer horizontalen Ebene folgen wir dem Film, in der neuesten Rekonstruktion, aber mit vollständiger Präsentation der Fehlstellen in der richtigen Länge und daher auch erstmalig vollständiger Aufführung der Huppertz-Filmmusik (genauer gesagt: der Direktionsstimme für Klavier, recht nüchtern vierhändig eingespielt von Oriol Cruixent, Mark Pogolski und Aljoscha Zimmermann). Die Fehlstellen, der literaturwissenschaftlichen Terminologie folgend Lacunae genannt, sind als dunkelgraue Bildflächen präsentiert, der über das Menü verschiedene Text- und Bildinformationen zugeschaltet werden können: Die Cues aus der Partitur (insgesamt 1028, die auch während des erhaltenen Filmmaterials eingeblendet werden können), Zwischentitel und aus weiteren Quellen abgeleitete Beschreibungen der Handlung sowie Standfotos, die einen Eindruck vom ursprünglichen Bild vermitteln können.
Auf einer zusätzlichen vertikalen Ebene (vergleichbar Fußnoten in einem Text, hier gekennzeichnet durch rote Icons am Bildrand), können wir den linearen Filmablauf an den entsprechenden Stellen verlassen und in (insgesamt 70) Appendices wechseln, die in Form von zusammenhängenden Stories eine Vielzahl weiterer Materialien enthalten, z.B. Auszüge aus Memoiren, Stand- und Werkfotos, Architektur- und Kostümskizzen, Abbildungen der für den Film gestalteten Plastiken und Modelle usw. Darüber hinaus lassen sich über das Hauptmenü im Archiv alle verwendeten und weitere Materialien auswählen, viele davon noch nie veröffentlicht. Darunter befinden sich alle registrierten Zeichnungen der Kostümbildnerin Aenne Willkomm und des Architekten Erich Kettelhut und über 250 Szenen- und Werkfotos des Standfotografen Horst von Harbou aus den Sammlungen des Filmmuseums Berlin und der Bibliothèque du Film, Paris, ebenso wie Thea von Harbous Drehbuch als Faksimile im pdf-Format: Wichtige Quellen zur Erforschung des Films werden damit quasi nebenbei zugänglich gemacht.
Natürlich besteht durch die Abgabe der auf 2000 Exemplare limitierten DVD-Studienfassung ausschließlich an Bildungs- und Forschungseinrichtungen immer noch eine eingeschränkte Nutzbarkeit. Die DVD kann nicht von jedermann erworben werden, und beispielsweise die pdfs sind weder druck- noch kopierbar. Wir müssen den Film also am Bildschirm einer entsprechenden Einrichtung studieren. Das allerdings dürfte Studenten und anderen Interessenten nicht allzu schwer fallen. Die Verfügbarkeit von 2000 Exemplaren ist immer noch besser als die ausschließliche Verfügbarkeit vieler dieser Materialien in nur wenigen Archiven. Die Erforschung von METROPOLIS wird also wesentlich erleichtert, und die wissenschaftliche Analyse auf ein neues Niveau gehoben, das etwa in den Literaturwissenschaften durch historisch-kritische Werkausgaben längst selbstverständlicher Standard ist.
Im Rahmen des Projekts "DVD als Medium kritischer Filmeditionen" sind weitere Editionen geplant, als nächstes die Filme PANZERKREUZER POTEMKIN (1925) und TABU (1931). Und irgendwie könnte es auch mit METROPOLIS noch weitergehen. Was die Studienfassung noch nicht leistet, ist z.B. ein Vergleich der METROPOLIS-Originalnegative. Von Fritz Lang wurden alle Szenen nämlich mindestens dreimal aufgenommen, um Originalnegative herzustellen für 1.) die deutsche Premierenfassung, 2.) die amerikanische so genannte Paramount-Fassung und 3.) eine Fassung für den Export in andere Länder. Patalas' Rekonstruktion aus den 1980er Jahren basiert auf dem Material der deutschen Premierenfassung, Körbers neueste Rekonstruktion aus dem Jahr 2001 auf dem Paramount-Material. Es wäre interessant, auf einer DVD einen direkten Vergleich dieser beiden Fassungen zu sehen, was laut Patalas auch nicht schwer zu machen wäre. Auch eine neue kommerzielle Edition (die letzte stammt aus dem Jahr 2003) hält er für vorstellbar, etwa anlässlich der im Januar 2007 achtzig Jahre zurückliegenden Uraufführung. Patalas hat bereits vorgeschlagen, dafür die -- dank der Zensurkarte als gesichert geltenden -- Zwischentitel in den Fehlstellen in derselben Schrift wie die im Film erhaltenen Zwischentitel zu rekonstruieren und erstmals die komplette Huppertz-Musik mit vollem Orchester aufzuführen.
Die Besprechung basiert auf einer Präsentation der DVD im Filmmuseum Berlin am 13.2.2006 im Begleitprogramm der 56. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Die Filmfassung der DVD-Studienfassung wird am 24.2.2006 um 21:00 Uhr im Rahmen der Filmreihe "METROPOLIS und die Folgen" im
Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums uraufgeführt. In dieser Reihe sind u.a. auch englische und amerikanische Variationen von METROPOLIS zu sehen (HIGH TREASON, GB 1929; JUST IMAGINE, USA 1930), postmoderne Nachkommen des Films (von BLADE RUNNER, USA 1982/1993 bis 2046, Hongkong 2004), sowie im Vorprogramm einige durch METROPOLIS inspirierte Musikvideos (Another Brick in the Wall, Pink Floyd, 1979; Express Yourself, Madonna, 1989; Radio Ga Ga, Queen, 1984).
filmhistoriker.de,
edited by olaf brill.
Last update (this page): 20 Feb 2006.
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